Vor der Wahl im Mai will Russland Unruhe im Nachbarland stiften. Ein Krieg dürfte allerdings nicht im Interesse Putins liegen

Kiew. Die Männer mit den kurz geschorenen Haaren und den Maschinengewehren sind zum Kampf bereit. Seit zwei Tagen halten sie die Außenstelle des ukrainischen Geheimdienstes SBU in Lugansk besetzt. Die Justiz müsse 15 Gesinnungsgenossen freilassen, die der Geheimdienst vergangene Woche verhaftete, fordern die Besatzer. Mehr als 300 Maschinenpistolen und ein Granatwerfer wurden bei den Separatisten gefunden. Sie hätten versucht, die Lokalregierung der ostukrainischen Stadt gewaltsam zu stürzen, sagt die Staatsanwaltschaft.

Kiew will mit allen Mitteln eine Spaltung der Ukraine verhindern. Innenminister Arsen Awakow flog nach Charkiw, wo die Polizei die von Separatisten besetzte Gebietsverwaltung stürmte und 70 prorussische Aktivisten verhaftete. Vizepremier Vitali Jarema wurde nach Donezk entsandt. Dort verschanzen sich rund 200 Separatisten noch immer in der Gebietsverwaltung. Geheimdienstchef Valentin Nalywajtschenko soll Lugansk wieder unter Kontrolle bekommen.

Als am Wochenende Regierungsgebäude gleichzeitig in mehreren Städten im Osten der Ukraine besetzt wurden und Separatisten in Donezk und Charkiw ihre „Volksrepubliken“ ausriefen, erinnerte das stark an die Ereignisse auf der Krim Ende Februar. Warnungen kamen von der Nato und aus den USA. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte am Dienstag, es wäre ein „historischer Fehler“, wenn Russland nach der Annexion der Krim „weiter in der Ukraine intervenieren“ würde. Er warnte Moskau davor, eine „Eskalation“ der Situation in den östlichen Gebieten der Ukraine herbeizuführen. US-Außenminister John Kerry telefonierte mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow und forderte Russland auf, sich von „Separatisten, Saboteuren und Provokateuren“ in der Ukraine zu distanzieren. Die Aktionen im Osten seien anscheinend „keine spontane Reihe von Ereignissen“, sondern eine „orchestrierte Kampagne mit russischer Unterstützung“, soll Kerry in diesem Telefonat laut seiner Sprecherin gesagt haben. In Donezk wollen die Separatisten am 11. Mai ein Referendum über die Unabhängigkeit der Bergbauregion starten.

Zielt Russland also darauf, das Krim-Szenario im Osten der Ukraine zu wiederholen? Ohne Intervention russischer Truppen wäre das nicht möglich. Im Unterschied zur Halbinsel Krim, wo Truppen der russischen Schwarzmeerflotte bereits stationiert waren, würde das im Osten einen Einmarsch über die Grenze voraussetzen. Die formelle Erlaubnis des russischen Parlaments dazu hat Präsident Wladimir Putin bereits seit der Krim-Krise. Technische Voraussetzungen dafür sind auch vorhanden. Nato-Oberkommandeur Philip Breedlove sagte vergangene Woche, dass Russland an der Grenze zur Ukraine „alles Notwendige“ für einen Einfall bereitstehen habe. Er sprach über eine Truppenstärke von 40.000 Soldaten, die innerhalb von zwölf Stunden eingesetzt werden könnten und ihr Ziel in einer Zeit von drei bis fünf Tagen erreichen würden.

Andreas Umland, Politikprofessor an der Kiewer Mohyla-Akademie, zweifelt an einer gewaltsamen Abspaltung der Ostukraine. „Es geht Putin darum, die Ukraine im Vorfeld der Präsidentenwahlen zu destabilisieren“, sagt der 47-Jährige. Die Wahlen sollen am 25. Mai stattfinden. Der bisherige Präsident, Viktor Janukowitsch, floh während der Maidan-Revolution Ende Februar aus der Ukraine. Seitdem übernimmt Alexander Turtschinow die Geschäfte des Staatsoberhaupts. Politologe Umland glaubt, dass Russland die Separatisten in der Ostukraine steuert. „Moskau will der Welt vorspiegeln, dass die Übergangsregierung in Kiew nicht legitim sei“, sagt Umland. Der Ton verschärfte sich deutlich, nachdem die ukrainische Polizei mehrere Regierungsgebäude in den östlichen Regionen zurückeroberte. Am Dienstag warnte das russische Außenministerium bereits vor einem „Bürgerkrieg“ und forderte Kiew auf, „militärische Vorbereitungen“ einzustellen. Angeblich sollen 150 Mitarbeiter einer amerikanischen Sicherheitsfirma, verkleidet als ukrainische Polizisten der Sondereinheit Falke, in den Osten geschickt worden sein, behauptet der Kreml.

Dass Moskau bewaffnete Milizen oder gar Truppen über die Grenze schickt, hält Politologe Umland für unwahrscheinlich. „Das würde sicher zu Krieg führen, und daran hat Putin kein Interesse.“ Bis jetzt nutzt Russland sein Drohpotenzial, um politischen Druck auf Kiew auszuüben. Zudem fehlt es den prorussischen Aktivisten vermutlich am Rückhalt aus dem Volk.

Die meisten Ostukrainer unterstützen die Partei der Regionen des gestürzten Präsidenten Janukowitsch. Zwar plädiert die Partei für mehr Eigenständigkeit der Regionen gegenüber der Zentralregierung. Den Anschluss der Ostukraine an Russland befürwortet sie nicht. Das widerspräche auch den Interessen der Oligarchen, die hinter der Partei stehen und sie finanzieren. Industriebarone wie Rinat Achmetow und Viktor Pintschuk betreiben Handel mit Russland. Sie fürchten jedoch um ihre Geschäfte, sollten sie unter die Fuchtel des Kreml geraten.

Russland fordert von der Ukraine eine Verfassungsreform und die Föderalisierung des Landes. Am Dienstag verlangte Lawrow sogar Einsicht in den Entwurf der neuen ukrainischen Verfassung, bevor Gespräche mit der EU und den USA starten könnten. Eine Föderalisierung würde die Macht Kiews weiter schwächen und den russischen Einfluss auf die östlichen Regionen stärken. Die Regierung in Kiew und sogar der Präsidentenkandidat der Partei der Regionen, Michail Dobkin, lehnen den russischen Vorschlag ab.