Atom-Gipfel verpflichtet sich, die Menge gefährlichen Materials möglichst klein zu halten. Neue Gefahr lauert im Internet

Den Haag. Die Ankündigung ist angesichts zahlreicher Konflikte kühn. „Wir wollen die Welt ein wenig sicherer machen“, sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zu Beginn des Gipfels für nukleare Sicherung. Zu ihm waren 53 Staats- und Regierungschefs sowie die Vertreter von vier internationalen Organisationen (Vereinte Nationen, EU, die Internationale Atomenergiebehörde IAEA und Interpol) nach Den Haag gereist. Sie alle eint die Sorge um ein Thema: die neuen nuklearen Bedrohungen. Längst geht es dabei nicht mehr nur um die althergebrachte Atombombe oder den GAU im Kernkraftwerk – obwohl beides natürlich gigantische Bedrohungen sind.

Die neuen Bedrohungen sind auf den ersten Blick kleiner und schwieriger zu erkennen. So befürchten Experten, dass Terroristen konventionellem Sprengstoff in Zukunft radioaktive Stoffe beimischen könnten – um daraus sogenannte schmutzige Bomben zu bauen. Nuklearer Terrorismus sei eine der größten Gefahren der heutigen Zeit, sagte Rutte.

Radioaktivität schlummert auch an Orten, an denen man es kaum vermuten würde: In Krankenhäusern werden schnell zerfallende radioaktive Substanzen zur (für den Patienten ungefährlichen) Diagnostik eingesetzt, etwa bei Schilddrüsenkrebs. Und die Digitalisierung der Welt könnte neue Cyber-Abgriffe mit sich bringen, auch nukleare. Dabei geht es um spezielle Schadprogramme, die in Systeme zur Steuerung und Überwachung von Anlagen und technischer Prozesse eingeschleust werden. „Was man physisch tun kann, kann man auch mit den Mitteln der IT tun“, sagt Anno Keizer, der als Head of Group Security für die Sicherheit bei Urenco zuständig ist, einer Firma, die niedrig angereichertes Uran sowie Zentrifugen zu dessen Herstellung produziert.

Auf dem Gipfel in Den Haag wollten die Staaten vereinbaren, nukleares Material besser zu schützen, die Bestände zu verringern und international besser zusammenarbeiten. Die niederländischen Gastgeber hatten sich dabei einen neuen Ansatz ausgedacht: Mit Planspielen sollte die Reaktion auf nukleare Zwischenfälle wie etwa Terrorangriffe erprobt werden. Es war der dritte Gipfel dieser Art, nach Washington 2010 und Seoul 2012. 2016 soll noch einmal ein Treffen in Chicago stattfinden. Danach, so formulierte es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), spreche vieles dafür, dass der Prozess künftig durch die IAEA gesteuert werde. „Er muss aber auch gleichzeitig politisch begleitet werden.“

Doch was kann nun konkret getan werden, um die Gefahren zu verringern? Die Ergebnisse des Gipfels von Den Haag beschränkten sich weitestgehend auf Absichtserklärungen. In ihrem Abschlussdokument bekräftigen alle teilnehmenden Staats- und Regierungschefs ihre Absicht, die Menge gefährlichen Materials, sowohl von hoch angereichertem Uran und Plutonium als auch zum Beispiel von Strontium und Caesium, möglichst klein zu halten. Zudem wollen sie das vorhandene Material besser sichern. So soll verhindert werden, dass Terroristen an radioaktive Stoffe gelangen können.

35 Länder haben zugestimmt, die Richtlinien der IAEA in nationale Gesetze einzuarbeiten und Kontrolleure der IAEA die Sicherheit von radioaktiven Stoffen beurteilen zu lassen. Belgien und Italien planen, den USA große Mengen von hoch angereichertem Plutonium zur Vernichtung zu übergeben. In ihrem Schlussdokument unterstrichen die Politiker zudem noch einmal die Bedeutung der Zusammenarbeit mit der entsprechenden Industrie.

Die arbeitet ihrerseits daran, notwendiges nukleares Material zu verbessern. So könnten etwa in der Nukleardiagnostik in Zukunft noch schneller zerfallende Stoffe eingesetzt und so die Strahlung verringert werden. Voraussetzung dafür sind extrem reine Isotope. Die Technologie gebe es eigentlich bereits, sagt Sicherheitsexperte Keizer. „Es ist nur eine Frage des Volumens, nämlich ausreichend Material für alle Patienten herzustellen.“ Von neuem, niedrig angereichertem Uran würde deutlich mehr für die medizinische Diagnostik gebraucht als im herkömmlichen Verfahren.

Zur Abwehr von Cyber-Angriffen arbeiten Nuklearunternehmen bereits jetzt mit der Bankenbranche zusammen, die sich seit Langem mit dem Schutz vor digitalen Angriffen beschäftigt. Außerdem stehen sie im Austausch mit der Politik – vor dem Gipfel in Den Haag zum Beispiel besprachen beide Seiten, welche Themen auf die Tagesordnung gesetzt werden müssten. Gleichzeitig mit den Staats- und Regierungschefs trafen sich auch Vertreter von Unternehmen und internationalen Organisationen beim Nuclear Industry Summit in Amsterdam.

„Wir sind einen guten Schritt weitergekommen, aber noch nicht am Ziel.“ Dieses Fazit zogen Mark Rutte und US-Präsident Barack Obama auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz zum Ende des Gipfels. Auch die Bundeskanzlerin fand, dass „eine ganze Menge erreicht“ worden war. Sie betonte: „Die Frage von nuklearer Sicherheit ist weit mehr als nur die Sicherung von Waffen und militärischem Material.“

Experten werteten die Abschlusserklärung als wichtigen Schritt, sie forderten aber eine größere Beteiligung. „Wir müssen den Rest der Gipfelteilnehmer dazu bringen, sich anzuschließen, besonders Russland“, sagte Miles Pomper vom James Martin Center for Nonproliferation Studies. Neben Russland weigerten sich auch die Atommächte China, Indien und Pakistan, sich an der Initiative zu beteiligen.

„Diese Staaten sind seit sechs Jahren Teil dieses Prozesses, und jetzt sind nur zwei Drittel davon bereit zu sagen: ,Ja, ich werde die grundlegenden Empfehlungen der Internationalen Atomenergiebehörde zum Schutz dieses Materials auch umsetzen‘“, beklagte Michelle Cann von der Organisation Partnership for Global Security.

Seit US-Präsident Barack Obama 2010 die Gipfel zur Atomsicherheit ins Leben gerufen hat, ist die Zahl der Staaten mit genügend nuklearem Material zum Bau einer Atombombe von 39 auf 25 gefallen. Das nächste Treffen solle 2016 in seiner Heimatstadt Chicago stattfinden, kündigte Obama an. Die Staatschefs würden dann die Aufgabe der nuklearen Sicherung an ihre zuständigen Minister übergeben, sagte der US-Präsident.