Enthüllung des Ex-Geheimdienstlers Edward Snowden zur Unzeit. Heute trifft Partei- und Staatschef Xi Jinping US-Präsident Obama beim Atomgipfel

Peking. Die neuen brisanten Enthüllungen könnten kaum zu einem kritischeren Zeitpunkt kommen: Am Montag trifft Chinas Staatschef Xi Jinping am Rande des Atomsicherheits-Gipfels in Den Haag auf US-Präsident Barack Obama. Ausgerechnet jetzt tauchen Informationen aus dem Material des Ex- Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden auf, wonach der US-Dienst NSA auch Xis Vorgänger, den früheren chinesischen Staats- und Parteichef Hu Jintao, abgehört hat, dazu Chinas Handelsministerium sowie den Telekommunikations-Konzern Huawei.

Noch am Freitagabend, wenige Stunden vor Xis Abflug in die Niederlande, hatte Chinas neuer starker Mann sein Verhältnis zu Obama als vertrauensvoll bezeichnet – bei einem Empfang, den er eigens für die Präsidentengattin Michelle Obama gab, die in China unterwegs ist. „Ich schätze die soliden Arbeitsbeziehungen und die persönliche Freundschaft mit US-Präsident Obama“, sagte Xi nach Angaben des Weißen Hauses. „Wir stehen in engem Kontakt durch unsere früheren Begegnungen, unsere Telefonate und durch unsere Korrespondenz. Ich freue mich auf das Treffen mit ihm in Den Haag und nächsten November, wenn er zum APEC-Gipfel nach Peking kommt.“

Xis Frau Peng Liyuan hatte die amerikanische Präsidentengattin mit deren Mutter und den beiden Töchtern zu einem privaten Besuch eingeladen. Es sollte eine neue Form der First-Lady-Diplomatie sein, ein Beweis dafür, wie nah sich die „ersten Familien der beiden Staaten“ gekommen sind. Diese diplomatische PR-Aktion ist durch die Enthüllungen vielleicht nicht gescheitert – aber doch in ein gewisses Spannungsfeld zur Realität geraten.

Nach der Fülle der Enthüllungen über die Arbeit der NSA dürfte Chinas Führung klar gewesen sein, dass die US-Dienste nicht vor der Großen Mauer haltmachen würden. Dennoch dürfte Peking von der Auswahl der ausgespähten Objekte mit Wirtschaftsbezug und dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung in der „New York Times“ und dem „Spiegel“ überrascht worden sein.

Die Spähaktion, die seit 2009 unter dem Codenamen „Shotgiant“ lief, richtete sich gegen Ziele von höchster Bedeutung für Chinas Wirtschaft und Sicherheitsarchitektur: In der Kommunistischen Partei wurden die mächtigsten Spitzenfunktionäre abgeschöpft. Bei dem mit 150.000 Mitarbeitern global operierenden Netzwerkausrüster Huawei geht es auch um dessen vermuteten Verbindungen zur chinesischen Armee. Abgehört wurden aber auch andere seiner 1400 Kunden. Das Handelsministerium war ebenso betroffen wie das Außenministerium.

Xi könnte Obama unbequeme Fragen stellen, zumal Chinas Staats- und Parteichef Ende Februar eine neue Aufsichtsgruppe für Cyberkontrolle und Internetsicherheit auf höchster Parteiebene leitet. Als Grund für die Einrichtung wurde die Abwehr der angeblich hochgefährlichen „subversiven Kraft“ des Internets genannt – daneben aber auch die wiederholten Klagen Washingtons über chinesische Spionage. In Wirklichkeit sei nämlich China das Opfer, so die Parteistrategen. Snowden scheint diese Sichtweise zu bestätigen.

Die Bespitzelung durch die NSA entwertet in den Augen vieler Chinesen aber auch das Plädoyer von Obamas Frau Michelle für mehr Transparenz. Das Weiße Haus hatte zu Beginn ihrer Reise offiziell erklärt, dass die First Lady auf einer Informationsreise sei und sich kontroverser politischer Bemerkungen enthalten würde. Aber am Sonnabend forderte sie bei einer Rede im „Stanford-Center“ an der Universität Peking überraschend zum offenen Zugang zur Information auf, verlangte nach Freiheit von Rede, Meinung und Glauben. Solche „universellen Rechte müssten jedem von seiner Geburt an zustehen“, sagte sie vor chinesischen und US-Studenten. Alle Staaten, die diesen Grundsätzen folgten, „werden dadurch nur stärker und wohlhabender“. Unter Pekings Sonntagszeitungen, die mit Doppelseiten über den Universitätsbesuch und dem Sightseeing berichteten, traute sich alleine die „Beijing-Times“ das Plädoyer von Michelle Obama für die Freiheitsrechte zu erwähnen. Die Zeitung versteckte den Satz ganz unten auf ihrer Seite.

Am Sonntag war es für offizielle Reaktionen auf die Enthüllungen noch zu früh. Im Staatsgästehaus Diaoyutai warb Chinas siebthöchster Parteiführer und Vizepremier Zhang Gaoli für vertrauensvolle, weltweite Zusammenarbeit mit China bei der Vertiefung der Reformen. Zhang sprach auf dem „China Development Forum 2014“ vor mehreren Hundert hochrangigen US-Konzernchefs und internationalen Wirtschaftsführern, darunter der Deutschen Bank, BASF und VW. China und die Weltwirtschaft seien vernetzt und voneinander abhängig. „Was woanders oder bei uns passiert, hat tief gehenden Einfluss auf den jeweils anderen.“

In Den Haag wird der US-Präsident an diesem Montag nun größere Probleme haben, Xi zur Übernahme von mehr internationaler Mitverantwortung zu bewegen, um zwei Brennpunkte entschärfen zu helfen: Nordkorea und auf der Krim. Obama hatte 2010 den Atom-Sicherheitsgipfel, an dem 54 Staaten teilnehmen, aus der Taufe gehoben. Er will verhindern, dass Nuklearmaterial illegal weiterverbreitet wird. Auch Peking unterstützt das Anliegen. Die größte Gefahr der Proliferation droht durch den an keinerlei Verträge gebundenen, selbst ernannten Atomwaffenstaat Nordkorea. China hat als einziger politischer Verbündeter Pjöngjangs zumindest wirtschaftlichen Einfluss auf das unberechenbare Regime. Es machte sich am Wochenende säbelrasselnd bemerkbar. Als Warnung gegen gemeinsame Manöver der USA und Südkorea ließ Pjöngjang 30 Kurzstreckenraketen über das Meer abschießen. Jede Rakete allein hätte ausgereicht, um mörderische Zerstörungen anzurichten, wenn sie Seoul treffen würden.

Die USA hoffen aber auf Chinas deeskalierenden Einfluss in der jüngsten Krise um die Ukraine. Peking unterstützt Moskau, nennt Russland einen strategischen Partner. Außenminister Wang Yi spricht von der „besten Ära in den beiderseitigen Beziehungen“. Als es bei der gescheiterten Uno-Resolution um die Frage des Schutzes der territorialen Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine ging, enthielt China sich aber bei der Abstimmung. Die Volksrepublik legte nicht wie Russland ein Veto ein. Sie machte aber deutlich, dass sie nicht bereit ist, Russland zu verurteilen und auch alle Forderungen nach Uno-Sanktionen ablehnen würde.

Doch China ist im Fall Moskau kein Verbündeter der USA. In jüngster Zeit mehrten sich zwar chinesische Stimmen, denen Putins aggressive Durchsetzung seiner Annektionsziele zu weit gehen. Sie verurteilen ihn allerdings nicht und wollen sich von ihm auch nicht distanzieren. Das Gegenteil ist der Fall. Sie bewunderten ihn für seine „eiserne Hand,“ die China im Umgang mit seinen Nachbarn auch zeigen sollte. Mit ideologischen Verrenkungen versuchte am Sonnabend ein Leitartikel des einflussreichen Parteiblatts „Global Times“ vor dem Trugschluss zu warnen, China könnte von Russlands Vorgehen lernen. Chinas Probleme hätten eine andere Vorgeschichte als die Russlands und der Ukraine. Im Fall Ostasiens sei für China die richtige Vorgehensweise, mit „Schattenboxen (Tai-Chi)“ zum Ziel zu kommen. Das entspräche den Staatsinteressen. China und der Westen seien dagegen „weder Feind noch Freund.“ Sie hätten aber mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen. Im Falle des Westen und seinem Verhältnis zu Russland könne China daher zwischen den Fronten stehen.