Istanbul. Die Kritik am türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan wegen der Sperre des Kurznachrichtendienstes Twitter wächst. Staatspräsident Abdullah Gül widersprach ihm am Sonntag: „Eine vollständige Schließung des Internets oder solcher Plattformen von Gesetzes wegen ist nicht möglich.“ Auch technisch sei dies nicht umzusetzen. Die Telekombehörde hatte Twitter in der Nacht zum Freitag blockieren lassen, nachdem Erdogan seine Drohungen gegen soziale Medien verschärft hatte. Die Blockade erfolgte kurz vor den Kommunalwahlen am 30. März. Weil die Sperre leicht zu umgehen ist, stieg die Zahl der Kurznachrichten zunächst sogar an, teilte die Rating-Agentur Somera mit.

Westliche Verbündete der Türkei hatten die Blockade scharf kritisiert. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), sieht die Sperrung als Problem für die Beitrittsgespräche des Landes mit der EU. Staatspräsident Gül erklärte, sein Büro sei in Kontakt mit Twitter, um eine Lösung zu finden. Für ein entwickeltes und wichtiges Land wie die Türkei sei eine unangenehme Situation entstanden. Er erwarte, dass die Blockade bald aufgehoben werde. Datendienste schätzen die Zahl der aus der Türkei pro Minute abgesetzten Tweets auf 17.000.

Twitterer können die Blockade umgehen, indem sie ihre Identität und die Herkunft ihrer Netzeinwahl verschleiern. Solche Verschlüsselungsprogramme sind frei im Internet erhältlich. In Istanbul beschrieben Graffiti an öffentlichen Plätzen und einige Radiosender, wie weiter getwittert werden kann.

Unterdessen weigert sich die Google-Videoplattform YouTube nach einem Zeitungsbericht, Clips auf Forderung der türkischen Regierung zu löschen. Dies könnte dazu führen, dass der Zugang zu YouTube in der Türkei ebenfalls gesperrt wird. Google betrachte die Löschanträge als rechtlich unwirksam, schrieb das „Wall Street Journal“. Einige Mitarbeiter des Unternehmens rechneten mit einer schnellen Reaktion der Behörden, hieß es. Bei YouTube waren Telefonmitschnitte veröffentlicht worden, in denen Ministerpräsident Erdogan der Korruption bezichtigt wird.