Krim-Bewohner sehen sich schon als Russen und hoffen auf mehr Geld. Für Moskau wird das Unternehmen teuer – politisch und wirtschaftlich

Simferopol/Moskau. „Wir sind zu Hause“ prangt in grünen Buchstaben auf dem Regierungssitz in Simferopol. Freudetrunken feiert die Krim den möglichen Beitritt zu Russland. „Jetzt sind wir wieder in der Heimat“, meint der 33-jährige Alexej, der mit Freunden auf den zentralen Leninplatz gekommen ist. Im Russland-Taumel schwenken die Männer überschwänglich ihre Fahnen, während sie tiefe Schlucke aus mitgebrachten Bierflaschen nehmen. Ausgelassen jubeln die Menschen russischen Popstars zu, die auf einer Bühne singen. „Russland, Russland“, schreit die Menge von wohl mehr als 10.000 Menschen.

Hupend fahren zahlreiche Autos durch die Stadt. Blechern tönt die russische Nationalhymne aus den Fahrzeugen. 95 Prozent der Krim-Bewohner sollen für den Beitritt zur Russischen Föderation gestimmt haben – dass das Referendum international kritisiert und nicht anerkannt wird, ficht niemanden an. „Das ist doch unser gutes Recht, als Volk über unser eigenes Schicksal zu bestimmen“, meint der Bauarbeiter Jewgeni, als er am Morgen ein Wahllokal in Simferopol verlässt. „Das geht niemanden etwas an, nur uns“, sagt er.

„Domoi w Rossiju“ – nach Hause nach Russland, lautet der Slogan der moskautreuen Führung der Halbinsel. Weit mehr als die Hälfte der Einwohner sind ethnische Russen, auch deshalb hat der selbst ernannte Regierungschef Sergej Aksjonow von Beginn an mit einer überwältigenden Mehrheit für den Beitritt gerechnet.

Die Machtübernahme der prowestlichen Führung um Regierungschef Arseni Jazenjuk in der 800 Kilometer entfernten Hauptstadt Kiew hat viele auf der Krim verängstigt. Wichtig ist aber auch: In Russland gibt es mehr Geld. 9917 Rubel (195 Euro) erhielten Rentner in Russland monatlich im Durchschnitt – fast doppelt so viel wie in der Ukraine. Mit Zuschlägen ist es bei vielen deutlich mehr. So zeigt es eine Grafik, die prorussische Aktivisten am Leninplatz im Herzen von Simferopol angebracht haben.

„Die deutsche Minderheit wird überwiegend für den Beitritt zu Russland stimmen“, meint Juri Gempel. Er muss es wissen – der kräftige Mann ist der Chef der deutschen Gemeinschaft „Wiedergeburt“ auf der von der Ukraine abtrünnigen Halbinsel. „Ich schätze Frau Merkel außerordentlich, aber hier soll jeder selbst über seine Zukunft entscheiden dürfen“, sagt Gempel. Merkel hält das Referendum für illegal. Etwa 2500 Menschen mit deutscher Abstammung leben auf der Krim. „Jedes Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung“, betont hingegen Gempel. Die deutsche Minderheit spreche zwar Russisch, aber kein Ukrainisch. Viele hätten Verwandte im Nachbarland. Dort seien Gehälter und Renten deutlich höher – auch die Deutschen erliegen den Lockrufen aus Putins Riesenreich.

Aber nicht alle sind glücklich. Die muslimische Minderheit der Tataren, die traditionell proukrainisch gestimmt sind, boykottiert zum Großteil die Volksbefragung. Und auch Ukrainer lehnen das Referendum als illegal ab. „Wie können wir denn unabhängig eine Wahl treffen, wenn überall Bewaffnete herumstehen?“, meint der 33 Jahre alte Unternehmer Dmitri.

An den Wahllokalen sind zwar keine Paramilitärs zu sehen. Aber Männer in Uniformen ohne Hoheitsabzeichen haben die ukrainischen Kasernen auf der Krim umstellt. Zudem bewachen prorussische Schlägertrupps und Kosaken mit Peitschen im Gürtel wichtige Gebäude. Nicht nur das Tempo, mit dem auf der Krim die Abspaltung abläuft, ist atemberaubend. Sie schafft auch eine Unsicherheit, die weltweit die Börsen nach unten zieht und auf der Schwarzmeerinsel selbst keinen Stein auf dem anderen lässt. Sich unter den Nagel reißen, was nicht niet- und nagelfest ist, lautet das Gebot der Stunde in Russland. Doch die Rechnung könnte für Moskau nach hinten losgehen.

Konkret geht es zunächst darum, die auf der Halbinsel befindlichen Vermögenswerte des ukrainischen Staates zum Vermögen der Krim, also zu russischem, zu machen. Zudem sollen Privatfirmen im Eiltempo nach russischem Recht umregistriert werden. Es geht um große Firmen: Schließlich befinden sich auf der Krim nicht nur Tourismusunternehmen und Sektproduzenten, sondern auch Töchter ukrainischer Agrarholdings, Fabriken der Chemieindustrie und des Maschinenbaus, dazu Baugesellschaften. Und natürlich die 880 Filialen von Banken. Der Erste Vizepremier der Krim, Rustam Temirgaliew, nennt als vielleicht wichtigstes Beispiel das Gasunternehmen Tschernomornaftogaz, das zur staatlichen ukrainischen Gasgesellschaft Naftogaz gehört und 2013 etwa acht Prozent der Gasproduktion des Landes generierte. Die Gas- und Ölvorkommen im Schwarzen Meer sind einer der wenigen Trümpfe, mit denen die Krim künftig punkten könnte.

Das Defizit im Budget der Provinzregierung beträgt laut Russlands Finanzminister Anton Siluanow knapp 700 Millionen Euro. Gerade mal drei Prozent trägt die Krim mit ihrer Wirtschaftsleistung zum ukrainischen Bruttoinlandsprodukt bei. Für Moskau hat der Anschluss des Gebietes also wirtschaftlich keinen Sinn. Stattdessen werden auf Russland finanzielle Lasten zukommen – Experten beziffern die Summe mit jährlich mindestens 2,1 Milliarden Euro. Russland, das für die Olympischen Spiele etwa 40 Milliarden Euro ausgegeben hat, wird das zwar schaffen. Zur wirklichen Belastung wird für Russlands Wirtschaft das vergiftete Verhältnis mit dem Westen werden.