Mindestens zehn schwarz gekleidete Angreifer töteten mit langen Messern Reisende und Wanderarbeiter im überfüllten Bahnhof der Metropole Kunming.

Peking. Das Gemetzel im Bahnhof der Metropole Kunming in Südwestchina wirft viele Fragen auf. Chinas Regierung sieht uigurische Separatisten aus dem weit entfernten Xinjiang am Werk. Sollte sich ihr Vorwurf bestätigen, wäre das Blutbad eine deutliche Eskalation der Gewalt – eine Radikalisierung uigurischer Kräfte weit weg von der Heimat der turkstämmigen, muslimischen Minderheit im nordwestchinesischen Xinjiang. Allerdings sind die Täter noch nicht identifiziert. Zunächst bekannte sich niemand zu dem Anschlag, bei dem 33 Menschen im Bahnhof von Kunming starben und 130 verletzt worden sind.

Mehr als zehn schwarz gekleidete Täter seien Sonnabendabend „wie verrückt“ mit langen Messern auf Passanten in der Kartenverkaufshalle und auf dem Vorplatz des überfüllten Bahnhofs losgegangen, berichtete die Nachrichtenagentur Xinhua. Die Polizei habe „mindestens“ vier Angreifer erschossen, darunter eine Frau, hieß es im Staatsfernsehen.

Das brutale Verbrechen gegen Reisende und Wanderarbeiter war nicht nur durch die Entfernung zu Xinjiang untypisch für die Gewalt, in die Uiguren sonst in Verbindung gebracht werden. Üblicherweise handelt es sich meist um Zusammenstöße, die angesichts der Spannungen in tödliche Auseinandersetzungen abrutschen – entweder weil Uiguren dann Ämter oder Polizeistationen attackieren oder chinesische Sicherheitskräfte das Feuer eröffnen.

Die Zahl solcher Zwischenfälle in Xinjiang hat drastisch zugenommen. Nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen sind seit Anfang 2013 mindestens 287 Menschen ums Leben gekommen. GfbV-Asienexperte Ulrich Delius warnte nach dem Blutbad davor, die Uiguren pauschal zu dämonisieren. Er äußerte die Befürchtung, dass die Vorwürfe gegen die „Separatisten“ nur die Vorurteile der Chinesen gegen die Minderheit schüren werde.

Die Spannungen zwischen beiden Volksgruppen haben seit 2009 zugenommen, als bei Zusammenstößen zwischen Uiguren und Han-Chinesen in Xinjiang rund 200 Menschen ums Leben gekommen sind. Beide Volksgruppen sind sich fremd. Das muslimische Turkvolk fühlt sich wirtschaftlich, politisch und kulturell diskriminiert – umgekehrt hegen die Chinesen wenig Sympathie für die kulturell so andere Minderheit, die auch nicht wirklich zur Volksrepublik gehören will.

Die Exil-Uiguren distanzierten sich sofort von dem Blutbad und sprachen den Familien der Opfer ihr Beileid aus. Ein Sprecher des Weltkongresses der Uiguren forderte eine transparente Aufklärung, damit das Verbrechen nicht als Vorwand für neuerliche „Unterdrückung und Diskriminierung“ benutzt werden könnte. Nach dem Blutbad rollte eine Welle von scharfen Reaktionen in Chinas Staatsmedien los. Die Terroristen müssten mit „null Toleranz“ streng bestraft werden. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua sah einen „Wandel in der Angriffsstrategie“, weil die Separatisten sonst Symbole der Regierung wie Polizeiwachen und Behörden angegriffen hätten, aber diesmal auf einfache Bürger losgegangen seien.

In einem indirekten Hinweis auf internationale Menschenrechtsgruppen oder Regierungen, die die chinesische Herrschaftspolitik gegenüber den Uiguren kritisieren, machte die Staatsagentur klar: „Jeder, der Verständnis für die Terroristen hegt und zeigt oder sie als unterdrückt oder schwach bezeichnet, ermutigt solche Angriffe und hilft bei der Verübung von Verbrechen.“

Doch die große Mehrheit der Uiguren setze sich friedlich für ihre Rechte ein, betont Experte Delius. Er fürchtet: „Die Tragödie in Kunming wird den Kreislauf der Gewalt in Xinjiang anheizen.“ So plane die Autonome Region neue Anti-Terror-Gesetze. Schon heute werden in Xinjiang mehr Menschen wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“ vor Gericht gestellt als anderswo in China – „und in unfairen Strafverfahren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt“.

Auch werden uigurische Regimekritiker mundtot gemacht. Erst vergangene Woche wurde Anklage wegen „Separatismus“ gegen den Pekinger Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti erhoben, der als gemäßigte und prominenteste Stimme der Uiguren in China gilt. Ihm droht lebenslange Haft.