Ethnische Auseinandersetzungen auf der Krim könnten Russland zum Eingreifen verleiten

Für Moskau gilt die Ukraine nicht nur als Geburtsstätte des russischen Staats und der russisch-orthodoxen Christenheit. Zur historischen Bedeutung kommen auch ganz handfeste ökonomische und geostrategische Interessen. Russlands Präsident Wladimir Putin will das Land in eine Allianz der früheren Sowjetrepubliken einbinden, der sogenannten Eurasischen Union. Deshalb übte Russland, das sich notorisch vom Westen bedroht und betrogen sieht, auch gehörigen Einfluss aus, um die Partnerschaft der Ukraine mit der EU zu Fall zu bringen. Das war der Auslöser für die Maidan-Bewegung in Kiew, die schließlich zum Sturz des Präsidenten Viktor Janukowitsch und dessen Flucht nach Moskau führte.

Nach dieser Schlappe muss sich Putin neu positionieren. Aus Moskauer Sicht war es schon demütigend genug, dass sich die baltischen Staaten und Georgien seinem Einflussbereich entzogen. Ein Verlust der Ukraine, die viele Russen als kleinen Bruder – früher wurde sie Kleinrussland genannt – oder einfach nur als natürlichen Vasallen sehen, wäre wegen ihrer Größe und Bedeutung ungleich schmerzhafter. Durch die Ukraine laufen wichtige Gas- und Ölpipelines, auf deren Funktionieren auch Moskau angewiesen ist. Und schließlich dürften die Herrscher im Kreml durch die erfolgreiche Revolte in Kiew Ansteckungsgefahr für ihre eigene Opposition fürchten.

Bislang hält sich Moskau offiziell weitgehend aus dem „ukrainischen Chaos“ heraus, beschränkt sich auf Appelle, die Einheit des Landes zu wahren und wieder zu stabilen Verhältnissen zu kommen. Trotzdem gibt es für Putin eine rote Linie: Es geht um die Halbinsel Krim. 1783 nahm Fürst Grigori Potjomkin im Namen der Zarin Katharina II. die Halbinsel im Krieg gegen das Osmanische Reich „von nun an und für alle Zeiten“ in Besitz. „Alle Zeiten“ währten bis 1954, als die Krim vom sowjetischen Regierungschef und gebürtigen Ukrainer Nikita Chruschtschow seiner Heimatrepublik übertragen wurde. Geblieben ist die strategische Bedeutung der Halbinsel. Noch heute hat die russische Schwarzmeerflotte ihren Heimathafen in Sewastopol, der „Stadt der Majestät“, wie sie von Potjomkin getauft wurde – blutig umkämpft im Krimkrieg 1853 bis 1856 und während des Zweiten Weltkrieges. Bis heute sehen nach einer Umfrage 56 Prozent der Russen die Krim als ihr Territorium.

In Simferopol ist es bereits zu Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Nationalisten und moskautreuen Einwohnern gekommen. Die Militärdoktrin des Kreml würde einen Einmarsch zum Schutz eigener Bürger im Ausland erlauben. Dmitri Medwedew ließ diese Möglichkeit in seiner Zeit als Präsident nach dem Südkaukasuskrieg mit Georgien 2008 schaffen. Auf der Krim gelten heute rund 60 Prozent der Bewohner als Russen.

Für die Ukraine insgesamt weisen die Statistiken bei einer Gesamtbevölkerung von 45 Millionen Menschen sieben Millionen Russen aus, die vor allem im Süden und Osten des Landes leben. In Moskau denkt man darüber nach, russischstämmige Ukrainer massenhaft mit russischen Pässen auszustatten. Dann fehlte nur noch ein Hilferuf von der Krim …