Türkischer Premier Erdogan soll seinen Sohn vor einer Razzia gewarnt haben

Istanbul . Die Echtheit der Telefonmitschnitte ist ungewiss, nach den Worten des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan handelt es sich um Fälschungen. Dennoch sorgen die mehr als zehnminütigen Aufnahmen von fünf Telefonaten, die im Internet veröffentlicht wurden, für gewaltige Unruhe in Ankara. Die Opposition fordert Erdogans Rücktritt. Angeblich soll auf den Bändern zu hören sein, wie der Regierungschef seinen Sohn Bilal anweist, gewaltige Geldbestände aus dem Haus zu schaffen – und zwar am Tag von Großrazzien, bei denen am 17.Dezember unter anderem Söhne von drei Ministern unter Korruptionsverdacht festgenommen wurden.

Auch regierungskritische Medien wollten sich nicht darauf festlegen, ob es sich tatsächlich um Erdogans Stimme handelt. Sie sagt: „Bring alles weg, was in deinem Haus ist.“ Der jüngere Gesprächspartner – angeblich Bilal Erdogan – sagt in einem späteren Telefonat am selben Tag, 30 Millionen Euro hätten noch nicht „aufgelöst“ werden können. „Soll etwas Geld bei dir verbleiben?“

Seit Wochen tauchen im Internet angebliche Mitschnitte von Telefonaten Erdogans auf. Unter anderem soll er Druck auf den Manager einer Mediengruppe ausgeübt und die Berichterstattung im TV-Sender Habertürk beeinflusst haben. Zumindest ein solches Telefonat – bei dem der Manager aufgefordert wird, Aussagen eines Oppositionspolitikers aus dem Laufband des Senders zu nehmen – räumte Erdogan überraschend selbst ein. Er sagte zur Rechtfertigung, bei den Oppositionsaussagen habe es sich um „Beleidigungen“ gehandelt.

Kurz vor den jüngsten Telefonmitschnitten hatten Berichte in regierungstreuen Zeitungen für Aufsehen gesorgt, wonach Erdogan, zahlreiche seiner Vertrauten und selbst der Chef des Geheimdienstes MIT, Hakan Fidan, jahrelang abgehört worden sein sollen. Unter dem Vorwand angeblicher Terrorermittlungen seien Tausende Anschlüsse angezapft worden, schreiben die Zeitungen „Star“ und „Yeni Safak“ – was der laut den Berichten zuständige Staatsanwalt umgehend bestritt.

Erdogan sieht sich selbst als Verschwörungsopfer eines „parallelen Staates“, hinter dem seiner Ansicht nach der in den USA lebende Prediger Fethullah Gülen steckt. Dessen Anhänger, so Erdogans Lesart, haben Justiz und Polizei unterwandert – und wollen mit allen Mitteln die Regierung stürzen. Die Gezi-Proteste im Sommer sieht er dabei ebenso als Teil der Verschwörung wie die Korruptionsermittlungen, die im Dezember zu den Festnahmen führten und in deren Zusammenhang auch Bilal Erdogans Name fiel. Auch die jüngsten Telefonmitschnitte nannte der Regierungschef folgerichtig ein „dreckiges Komplott“.

Der angeschlagene Ministerpräsident versucht, seine Macht mit hochumstrittenen Gesetzesänderungen zu festigen. Eines, das den Einfluss der Regierung auf die Justiz verstärkt, wartet auf die Unterschrift von Staatspräsident Abdullah Gül. Bereits unterzeichnet hat Gül in der vergangenen Woche trotz internationaler Kritik ein Gesetz zur schärferen Kontrolle des Internets.