Der russische Außenminister Lawrow erinnert seinen deutschen Amtskollegen Steinmeier an die Gefahrengebiete

Moskau. Er trommelt mit seinem Kugelschreiber auf das hölzerne Pult. Er verzieht das Gesicht. Er fährt sich mit der linken Hand um den Mund. Etwas verlegen blättert Frank-Walter Steinmeier in seinen Papieren. Angestrengt und angespannt wirkt der SPD-Politiker an diesem Freitagvormittag im Gästehaus des russischen Außenministeriums in Moskau. Sein Amtskollege Sergej Lawrow nutzt die gemeinsame Pressekonferenz mehrfach für verbale Holzerei. Wenig diplomatisch beantwortet Lawrow Kritik an seiner Regierung mit Angriffen gegen Deutschland, gegen die EU, gegen den Westen.

Die Lage in der Ukraine und die Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land veranlassen Lawrow, die westlichen Partner zu ermahnen und sich von ihnen abzugrenzen. „Ehrlich“ sollte die EU sein, statt Kiew eine Wahl ohne echte Wahlfreiheit „aufzuzwingen“, fordert Lawrow. Der Begriff vom „Aufzwingen“ hat es dem russischen Außenminister angetan.

Auf die von Steinmeier formulierten „Unterschiede“ zwischen Deutschland und Russland, die „unterschiedlichen Perzeptionen“, die „unterschiedliche Sicht im Umgang mit Bürgerrechten“, reagiert Lawrow mit den Worten: „Gemeinsame, universelle Kriterien können nicht von einer Staatengruppe einer anderen Staatengruppe aufgezwängt werden.“

Zuweilen sei es nun einmal nötig, doziert der russische Minister, Freiheiten und Rechte einzuschränken, um „öffentliche Moral, öffentliche Ordnung und die Sicherheit des Staates zu schützen“. Es folgt das argumentative Abc der russischen Diplomatie, der Verweis auf vermeintliche Parallelen und Defizite beim Gegenüber.

„Schauen Sie sich die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland an“, setzt Lawrow an. Nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität gehe Deutschland gegen Demonstrationen vor, etwa beim G8-Treffen in Heiligendamm „im Jahr 2007“; Lawrow ist der Termin präzise präsent. Und in Hamburg habe der deutsche Staat erst kürzlich „Provokateure bei der Erreichung ihrer Ziele gehindert“, sagt er. Gemütlich also geht es nicht zu bei dem Auftritt von Steinmeier und Lawrow, und das, obwohl sich die beiden Männer lange kennen und sich in den vergangenen Wochen, in Montreux und München, bereits zweimal gesehen haben. Steinmeier und Lawrow haben schon viele Stunden miteinander verbracht.

Lawrow, seit bald zehn Jahren im Amt, hatte Steinmeier zuletzt im Sommer 2009 als Außenminister in Moskau empfangen. Das Verhältnis von Lawrow zu Steinmeier ist gewiss besser als das zwischen Lawrow und dem früheren Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Lawrow hat aus seinen Vorbehalten gegenüber Homosexuellen nie einen Hehl gemacht.

Bereits wenige Tage nach Steinmeiers Amtsantritt lud Lawrow ihn nach Moskau ein. Am Donnerstag, beim Abendessen, berieten sich die beiden Außenminister im Vieraugengespräch, vor allem um die internationalen Fragen ging es dabei: die Ukraine, Syrien, den Iran, den Nahen Osten. Die bilateralen und europäischen Themen standen am Freitag – mit größeren Delegationen – auf dem Programm.

„In Deutschland schaut man gerade in diesen Tagen auf Russland“, eröffnet Steinmeier sein Statement in Anspielung auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi. „Kaum verwunderlich“ sei das, bereite der Medaillenspiegel doch „besondere Freude“. Da blickt sogar der gestrenge Lawrow von seinen eng beschriebenen Aufzeichnungen auf und lächelt für einen Moment.

So formal freundlich sich die beiden geben, so eklatant sind ihre Meinungsunterschiede. Das betrifft nicht nur das Thema Menschenrechte und Moskaus Umgang mit der Ukraine, den Steinmeier während seiner Antrittsrede als Außenminister „empörend“ genannt hatte. Es zeigt sich zudem, wie weit sich die beiden Länder in den vergangenen vier Jahren – in Steinmeiers Außenminister-Absenz – auseinanderentwickelt haben. „Gemeinsame Werte“ etwa beschwört keine der beiden Seiten mehr. Selbst von „gemeinsamen Interessen“ ist kaum mehr die Rede.

Nur einmal verwendet Steinmeier den von ihm geprägten Begriff von der „Modernisierungspartnerschaft“, historisiert das Wort geradezu, indem er es mit „früheren Zeiten“ in Verbindung bringt. Das einst zuweilen überhöhte Projekt also relativiert er, wählt stattdessen die Formel einer „deutsch-russischen Positivagenda“. Das klingt arg technokratisch, und etwas hölzern plädiert er nun noch dafür, „bestehende Gesprächsformate mit neuen Inhalten zu füllen“. Mit Blick auf die Zukunft der Ukraine geben sich Steinmeier und Lawrow zumindest rhetorisch einig. „Eine Lösung der politischen Krise muss von der Ukraine selbst entwickelt werden“, sagt Lawrow. „Es kommt nun auf die Konfliktparteien in Kiew an“, sagt Steinmeier.

Später sprechen Steinmeier und Putin noch 80 Minuten in dessen Residenz Nowo-Ogorjowo vor den Toren Moskaus. Eine wirtschaftliche Annäherung zwischen der EU und der Ukraine heißt Putin willkommen, verlautet anschließend aus Delegationskreisen. „Offen“ habe man geredet, sagt Steinmeier, auch über das „manchmal unterschiedliche Verständnis von Bürgerrechten und Rechtsstaat“. Die deutsch-russischen Beziehungen könnten „ein paar frische Impulse gebrauchen“.