Ein neues Gesetz sieht Ausnahmen nur noch nach einer Vergewaltigung vor. Frauenverbände laufen Sturm

Madrid. Dieses Gesetz sorgt für Aufregung in Spanien und im übrigen Europa. In einer Abstimmung zu ungewöhnlich später Stunde schmetterte Spaniens Volkspartei (PP) mit ihrer überwältigenden Mehrheit im Parlament den symbolischen Antrag der oppositionellen Sozialisten für einen Rückzug ihrer umstrittenen Abtreibungsnovelle ab. Nun ist der parlamentarische Weg frei für das umstrittene Gesetz, das im Grunde einem Abtreibungsverbot gleichkommt und gegen das Tausende von Spanierinnen in den letzten Wochen landesweit demonstriert haben.

183 Parlamentarier stimmten gegen den Antrag, 151 dafür, es gab sechs Enthaltungen. Wenig nützte auch der Appell, den die sozialistische Politikerin Elena Valenciano kurz vor der Abstimmung an die Kolleginnen der Volkspartei richtete: „Wählen Sie bitte als Frauen, nicht als Abgeordnete der PP.“ Am Ende wurde dann doch die Parteidisziplin gewahrt.

Für Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón ist das Votum ein Triumph: Der 55-Jährige will die von den Sozialisten 2010 eingeführte Fristenlösung abschaffen und durch eine deutlich strengere Indikationslösung ersetzen.

Der Schwangerschaftsabbruch ist danach kein Recht mehr, sondern ein Delikt, das wieder im Strafgesetzbuch aufgenommen wird. „Das ist das fortschrittlichste Projekt, das ich je in Angriff nahm“, behauptete der Minister, der den Entwurf mehr als zwei Jahre in einer Schublade hütete. „Ich schütze die Rechte des Schwächsten in unserer Gesellschaft: die des Ungeborenen.“

Bislang konnten Frauen in Spanien in den ersten 14 Wochen frei über eine Abtreibung entscheiden, erst ab diesem Zeitpunkt musste ein Arzt hinzugezogen werden, um ein Risiko für die Mutter oder den Fötus zu bescheinigen. So wird das Thema in den meisten Ländern Europas gehandhabt, doch die Volkspartei will das konservative Lager zufriedenstellen und nach jahrelangem Sparkurs endlich ihre gesellschaftlichen Umwälzungen in Angriff nehmen.

Nach Gallardóns Entwurf ist eine Abtreibung fortan nur noch bei Vergewaltigung und besonders gravierenden Fällen von Missbildung des Fötus möglich, sofern das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdet sind.

Auch das Recht auf Abtreibung für Minderjährige unter 18 Jahren, die den Schritt bislang ohne elterliche Einwilligung vornehmen konnten, wird zurückgenommen. „Das ist eine ideologisch motivierte Entscheidung, ich hoffe, dieses Gesetz tritt nie in Kraft“, sagte Francisca González. Sie ist Ärztin und Chefin des Verbands Acai, der 30 Abtreibungskliniken umfasst. Wie auch Familienplanungsverbände immer wieder unterstreichen, besteht in Spanien kein Bedarf für eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. „Wir haben eine der niedrigsten Quoten in der Europäischen Union“, so González. So kommen ihren Angaben zufolge auf 1000 Frauen in Spanien im Schnitt zwölf Abtreibungen, in England und Frankreich sind es 16,5 beziehungsweise 14 Fälle.

González befürchtet, dass die Spanierinnen wieder gezwungen sein könnten, wie zu Francos Zeiten heimlich abzutreiben. „Das bringt beachtliche Risiken für die Gesundheit mit sich, wenn die Frauen den Schritt nicht in einer anständigen Klinik vornehmen können“, so González.

Bislang zahlte die Sozialversicherung die Schwangerschaftsabbrüche. Mit dem neuen Gesetz müssten Frauen wie früher ins Ausland fahren. „Das können sich nur begüterte Frauen leisten“, moniert González, die selbst seit vielen Jahren Abtreibungen vornimmt.

Die Ärztin beanstandet auch die Rechtsunsicherheit für Ärzte, die es künftig wagen, sich jenseits von Gallardóns Regelwerk ihrem Job zu widmen. Sie müssen mit Haftstrafen von ein bis drei Jahren oder einem Berufsverbot von bis zu sechs Jahren rechnen.

Die Abtreibungsnovelle war ein persönliches Projekt von Justizminister Gallardón, mittlerweile Galionsfigur des rechten Flügels und einer der unbeliebtesten Minister in Rajoys Kabinett. Er sucht vor allem im Umfeld von Ex-Premier José María Aznar nach Unterstützung, der in der PP als Ehrenpräsident immer noch die Fäden in der Hand hält und mitentscheidend sein wird, wenn es um Rajoys Nachfolge geht.

Den Sprung in die nationale Politik hat der frühere Provinzpolitiker sorgsam vorbereitet. Schon 2003 bis 2011, als Bürgermeister von Madrid, verstand es Gallardón, die einflussreichsten PP-Granden zu umgarnen. So ernannte er Aznars Frau Ana Botella zu seiner Stellvertreterin, mittlerweile ist sie Bürgermeisterin der spanischen Hauptstadt.

Kurioserweise schaffte es der Mann stets, bei den Wählern als fortschrittlich zu gelten. Er umgab sich mit Schriftstellern und Künstlern, veranlasste die kostenlose Verteilung von Kondomen oder auch die rezeptfreie „Pille für den Tag danach“. „Kaum war er Minister, streifte sich der Wolf den Schafspelz ab“, so Frauenrechtlerin Beatriz Simó. „Er will die Kirche, die Bischöfe und den reaktionären Teil der Spanier zufriedenstellen und uns Frauen wieder zum Kinderkriegen verdammen.“

„Gallardón ist ein Chamäleon, er ist im Grunde ein Erzkonservativer in jeder Hinsicht“, sagt auch die ehemalige sozialistische Ministerin Trinidad Jiménez. Selbst Gallardóns Cousine, die Französin Cecilia Attias, Ex-Frau von Nicolas Sarkozy, ist entsetzt über seinen Sinneswandel. „Das Gesetz ist doch sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, in welcher Zeit wir heute leben“, sagte sie der Tageszeitung „Le Monde“.

In Spanien gingen in den letzten beiden Wochen Zehntausende von Frauen auf die Straßen. „Wir brauchen keine klerikalen, machistischen und mittelalterlichen Gesetze“, stand auf den Transparenten. Und es kam zu einer klaren Kampfansage. „Wir marschieren so lange, bis der Gesetzentwurf zurückgenommen wird.“