Außenminister Steinmeier fordert beim Besuch in Kabul von Präsident Karsai die Unterzeichnung des Sicherheitsabkommens mit den USA

Kabul. Groß ist der Andrang im afghanischen Außenministerium. Dicht drängen sich die Beobachter am Sonntagmittag im Pressesaal. Vor einer ausgeblichenen Fotowand hat sich Frank-Walter Steinmeier neben seinem Gastgeber und Amtskollegen Zarar Ahmad Osami aufgebaut. Für Steinmeier ist das Treffen ein Wiedersehen; wie immer, wenn er in diesen Wochen unterwegs ist, ob in Warschau, Athen, Jerusalem oder heute eben in Kabul. „Unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt“, sagt Steinmeier über seine gemeinsame Geschichte mit Osami.

Der neue, alte Außenminister knüpft an sein Wirken in der letzten Großen Koalition an. Viermal war er während seiner ersten Amtszeit an den Hindukusch gereist. Damals lernte Steinmeier Osami kennen, den Kollegen, der seinerzeit Innenminister war. Damals schon sprach er mit Präsident Hamid Karsai. Er unterhielt sich mit Rangin Dadfar Spanta, einst Außenminister, heute Nationaler Sicherheitsberater. Steinmeier kehrt nun an allerhand Orte zurück, an denen er schon einmal war. Der Präsidentenpalast in Kabul ist solch ein Ort oder das deutsche Feldlager in Masar-i-Scharif, das am späten Sonntagnachmittag auf dem Programm steht.

Manche Situation muss Frank-Walter Steinmeier dabei wie ein Déjà-vu vorkommen, und der eine oder andere Satz aus seinem Munde besitzt ebenso einen Wiedererkennungswert. „Nicht einheitlich“ entwickle sich Afghanistan, sagte Steinmeier während seines ersten Besuches im Jahre 2006. 2009 befand er: „Ich will nicht sagen: Alles wird gut. Aber es gibt Fortschritte.“ Nun spricht er von einer „sehr gemischten Bilanz“. Man sei „nicht da, wo wir uns das vor zwölf Jahren gewünscht haben“. Man habe mit dem internationalen Einsatz nicht alles erreicht, solle aber die Erfolge „nicht gering schätzen“.

Bei allen bekannten Dialogpartnern, bei allen frappierend ähnlichen Situationen, bei allen sich wiederholenden Formeln aber ist diesmal vieles anders. Deutschland wird sein militärisches Engagement in Afghanistan Ende dieses Jahres erheblich reduzieren. Bislang sind etwa 3200 Bundeswehrsoldaten im Lande stationiert. Der Einsatz soll beendet werden, Afghanistan wird zum 1. Januar 2015 selbst Verantwortung für seine Sicherheit übernehmen.

Wie geht es danach weiter? Natürlich sei Deutschland bereit, weiter „besondere Verantwortung zu übernehmen“, heißt es im Fortschrittsbericht zu Afghanistan, den die Bundesregierung in der vergangenen Woche veröffentlicht hat. In den kommenden zwei Jahren sollen demnach „etwa 600 bis 800 deutsche Soldatinnen und Soldaten“ afghanische Sicherheitskräfte ausbilden. Bis „mindestens 2016“ will Berlin weiter pro Jahr bis zu 430 Millionen Euro für Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan ausgeben. Ziviler Wiederaufbau, Training und Beratung – so lauten die Stichworte. Sie klingen nüchterner als die hohen Erwartungen, die der Westen zu Beginn des Einsatzes in Afghanistan vor gut zwölf Jahren weckte.

Steinmeiers Rhetorik hat sich verändert. Der Außenminister redet seinen Gastgebern nicht nur freundlich zu, nein, er ermahnt, oder – wie Diplomaten lieber sagen – er ermuntert. Die Zeit des Umgarnens ist vorbei, Karsai, einst ein Held, gilt schon viele Jahre als mindestens suspekt. Ziemlich unumwunden fordert Steinmeier die Afghanen auf, das Sicherheitsabkommen mit den USA zu unterschreiben. Dieses soll den Verbleib eines internationalen Kontingents von 10.000 bis 12.000 Mann nach dem Abzug der Kampftruppen regeln.

Das Abkommen, dessen Unterzeichnung Karsai bislang aussitzt, müsse „möglichst früh“ unterschrieben werden, verlangt Steinmeier. Er verweist darauf, „dass bei uns in Deutschland ein Planungsprozess erforderlich ist“. Ein Engagement lasse sich schließlich nicht „in 14 Tagen vorbereiten“. Einen demokratiepolitischen Fingerzeig fügt er hinzu: „Wir brauchen Zeit, um die Öffentlichkeit und das Parlament vorzubereiten und zu überzeugen.“ Was Steinmeier nicht sagt: Washington droht mit einem Totalabzug seiner Soldaten. Das wäre ein fatales Signal. Und die Zeit drängt: Im April soll in Afghanistan der Präsident neu gewählt werden, später wird eine Stichwahl erwartet. Karsai muss abtreten, wann er einen Nachfolger hat, ist unklar.

Für Steinmeier ist das Sicherheitsabkommen eine Bedingung für das künftige Engagement auch Deutschlands im Lande. „Wir drängen unsere Hilfe nicht auf“, sagt Steinmeier. Das sind deutliche Worte eines Mannes, der den diplomatischen Jargon so beherrscht, als habe er Zeit seines Lebens kein anderes Fach betrieben. Die Botschaft lautet: Wir müssen hier nicht verharren. Nicht die ganze Welt dreht sich um Afghanistan.

Das Sicherheitsabkommen habe einen „umfangreichen Teil unserer Unterhaltung“ bestimmt, sagt Steinmeier nach dem Treffen mit Karsai. Von einem „offenen Gespräch“ ist in Delegationskreisen die Rede. Offenes Gespräch, offener Austausch, das bedeutet, vom Diplomaten- ins Alltagsdeutsch übersetzt: Es ging bei der anderthalbstündigen Unterredung deutlich zur Sache. Steinmeier warb um Verständnis für sein Interesse an einer baldigen Unterschrift Karsais. „Das afghanisch-amerikanische Agreement hat nicht nur eine Bedeutung für den Aufenthalt amerikanischer Einheiten, sondern ist auch für uns Deutsche und die meisten Europäer relevant“, sagt Steinmeier. Die Zusage, afghanische Sicherheitskräfte auszubilden und zu trainieren, gelte „nur, wenn es ein bilaterales Abkommen geben wird“. Steinmeier weiß, dass auch Italiener, Norweger, Polen, Schweden, also all jene, die bereit sind, weiterhin am Hindukusch zu helfen, eine solche rechtliche Absicherung wünschen.

Den Abzug der Kampftruppen hält Steinmeier für richtig. „Afghanistan ist heute nicht mehr ein Ausbildungszentrum für islamistische Terroristen, zehn Millionen Kinder gehen wieder zur Schule, davon 40 Prozent Mädchen. Die Gesundheitsversorgung ist besser, die Kindersterblichkeit geringer“, zählt Steinmeier die Erfolge der milliardenschweren Afghanistan-Mission auf. Illusionen aber macht sich der deutsche Außenminister über die diversen Defizite nicht. „Der Kampf gegen Korruption, gegen Drogenanbau, gegen Drogenhandel muss weiter und entschiedener geführt werden“, verlangt Steinmeier. Es ist mehr als ein Fingerzeig für das unter Korruptionsverdacht stehende System Karsai.