Ukraine weist Sanktionsandrohung des Außenministeriums zurück und fordert Unvoreingenommenheit. Konflikt mit Opposition bleibt ungelöst

Warschau/Berlin. Verwirrende Nachrichten rund um die Ukraine: EU und USA arbeiteten mit Hochdruck an einem Hilfspaket für das Land, wird seit Montag berichtet. Eine „Einigung“ zwischen Opposition und Machthabern habe es gegeben, und Präsident Viktor Janukowitsch habe vorgezogene Wahlen für möglich erklärt, heißt es weiter. Bei näherem Hinsehen sehen die Dinge nicht ganz so rosig aus. Die Einigung betraf Gespräche zwischen radikalen Oppositionellen und dem ukrainischen Geheimdienst SBU. Sie galt der Freilassung inhaftierter Demonstranten und der anschließenden Räumung des von Protestierenden besetzten Kiewer Rathauses. Also eher ein kleiner Separatfrieden als das Ende des Konflikts.

Auch die denkbaren Neuwahlen sind bisher nicht mehr als eine Andeutung. Janukowitsch schließe nach Aussage seines engen Vertrauten Juri Miroschnitschenko vorgezogene Wahlen nicht aus, um die politische Krise zu überwinden. „Falls wir Politiker uns nicht einigen können (...), so sind vorgezogene Wahlen der einzige demokratische Ausweg, wie die Krise zu lösen ist“ – so zitierte Miroschnitschenko im Fernsehen das Staatsoberhaupt. Turnusgemäß muss ohnehin in einem Jahr vom Volk ein neuer Präsident gewählt werden. Der Agentur Interfax sagte Miroschnitschenko im Gegensatz zu den Andeutungen, vorgezogene Parlamentswahlen stünden derzeit nicht zur Debatte.

Derweil rang die Opposition im Parlament in Kiew um eine Änderung der Verfassung. Es geht ihr um die Verlagerung von Kompetenzen vom Präsidenten hin zur Regierung und zum Parlament, wie dies bis 2010 der Fall war. Allerdings sehen selbst Oppositionspolitiker, dass eine solche Änderung langwierig wäre und die Konfrontation kaum schnell beenden würde. Außerdem gibt es in der ukrainischen Hauptstadt weiterhin nur eine geschäftsführende Regierung. Der langjährige Premier Mykola Asarow, der unter dem Druck der Opposition zurückgetreten war, hat sich, österreichischen Medien zufolge, in den letzten Tagen nach Wien abgesetzt. Dort soll sein Sohn geschäftlich aktiv sein, Asarow selbst soll, wie weitere Spitzenpolitiker, einen österreichischen Pass besitzen. Diese Informationen gehen auf Rebecca Harms zurück, die Grünen-Chefin im Europaparlament. Asarow selbst widersprach dieser Behauptung: „Ich habe nie irgendeinen europäischen Staat um die Ausstellung eines Passes gebeten“, schrieb er auf Facebook. Ein EU-Pass wäre wichtig, um denkbare Sanktionen zu unterlaufen. Über personalisierte Sanktionen gegen die Verantwortlichen für Polizeigewalt in Kiew wird in vielen europäischen Hauptstädten diskutiert. Wegen der Androhung von Sanktionen hat das Außenministerium in Kiew am Dienstag den deutschen Botschafter Christof Weil zu einem Gespräch gebeten. Das Ministerium mahnte auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zur Zurückhaltung. Vielmehr hoffe die Ukraine auf eine „konstruktive, unvoreingenommene Position“ der Bundesregierung, hieß es in einer Mitteilung. Steinmeier hatte am Montag den ARD-„Tagesthemen“ gesagt: „Sanktionen müssen wir jetzt als Drohung zeigen und bereit sein, darüber zu entscheiden, wenn es in den nächsten Tagen nicht zu den erwarteten und verlangten Fortschritten kommt.“ Die in Kiew diskutierte Verfassungsänderung nannte er das „schwierigste Stück“ im Konflikt.

Klitschko bezeichnet Janukowitsch als Betrüger, der Steuern hinterziehe

Insgesamt zeigte er sich skeptisch angesichts der Lage: „Das bleibt ein Pulverfass. Deshalb hoffe ich, dass da von niemand gezündelt wird, weder von innen, aus der Ukraine heraus, noch von anderen, die interessiert sind, da einen Konfliktstand aufrechtzuerhalten.“ Unter Anspielung auf Russlands Finanzhilfen für Janukowitsch meinte er, die demokratischen Staaten sollten nicht „in einen Wettbewerb eintreten, wer am meisten zahlt“. Aber die Ukraine sei in der Tat ein Beispiel für mehr Engagement Deutschlands in Konflikten im Ausland. Er hoffe, „dass aus den Gesprächen zwischen Regierung und Opposition etwas entsteht, das dem Land eine politische Zukunft gibt“.

Oppositionsführer Vitali Klitschko bezeichnete Janukowitsch als „Betrüger“, der Steuern hinterziehe. Janukowitsch verstecke Millionen „über Treuhänder auf Konten in Liechtenstein und der Schweiz“, behauptete der Ex-Boxweltmeister in seiner Kolumne in der „Bild“-Zeitung. Über Österreich tätige der Präsident Scheingeschäfte. In Brüssel ist zu hören, dass die Überlegungen zu möglichen Finanzhilfen für eine noch zu bildende Übergangsregierung in Kiew in einem sehr frühen Stadium sind. Aus bestehenden Etats der Gemeinschaft könnten höchstens zwei Milliarden Euro für diesen Zweck mobilisiert werden. Der Rest solle aus den Haushalten der Mitgliedsstaaten und von internationalen Partnern kommen.

Berichte, dass bei den Hilfen die Anforderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Reformen in der Ukraine aufgeweicht werden könnten, stimmten demnach nicht. Die Standards des IWF müssten gelten, höchstens bei den Zahlungsmodalitäten könnten Zugeständnisse gemacht werden, etwa mit einer schnelleren Überweisung der Tranchen.

Die Überlegungen, die Ukraine mit Sanktionen zu belegen, wenn Janukowitsch seine harte Linie gegen die Opposition fortsetzt, gehen weiter. Nicht nur bei Außenminister Steinmeier. Hohe EU-Diplomaten sagen, die große Mehrheit der Mitgliedsstaaten sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch gegen die Verhängung solcher Strafmaßnahmen. Wenn die Situation in der Ukraine aber eskaliere, müsse diese Haltung überdacht werden. Wenn etwa die Gewalt gegen Demonstranten an Härte zunehme, könnten die Außenminister der Europäischen Union bei ihrem Treffen am nächsten Montag einen Auftrag an die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erteilen zu prüfen, welche Sanktionen infrage kämen. Ashton wurde für Dienstagabend in Kiew erwartet. Die europäische Diplomatie und jene in den Partnerländern weltweit erörtere das weitere Vorgehen in der Ukraine derzeit sehr intensiv. Doch letztlich hängen konkrete Schritte von den Entwicklungen in dem osteuropäischen Land ab. Eine Entscheidung könne deshalb erst kurz vor Beginn des Außenministerrats fallen.