Nicht-Nato-Staaten ziehen spätestens 2021 am Bündnis vorbei. Russland, China und der Mittlere Osten geben dann am meisten für Waffen aus

London. Höhere Militärausgaben in China, Indien und Russland, schrumpfende Budgets in den USA und Europa: Zu diesem Ergebnis kommt die neue „IHS Jane’s Annual Defence Budgets Review“, für die die Analysten von IHS die 77 wichtigsten Militäretats der Welt ausgewertet haben. Sie rechnen in ihrer am Montagabend veröffentlichten Studie damit, dass die Rüstungsausgaben im Jahr 2014 erstmals seit 2009 wieder steigen werden. Das militärische Gewicht verschiebt sich damit nach Osten – die Nicht-Nato-Staaten werden den Prognosen zufolge die Nato spätestens 2021 im Bezug auf die Verteidigungsausgaben überholen. Schon 2015 wird China mehr für Waffen und Panzer ausgeben als Großbritannien, Frankreich und Deutschland zusammen. Werden Chinas und Russlands Ausgaben addiert, ziehen die beiden Länder 2015 an der gesamten EU vorbei.

Vor der Verschiebung muss der Westen aber keine Angst haben, argumentieren die Analysten: Es dauere noch Jahrzehnte, bis Asien militärisch überlegen sei. Westliche Rüstungsfirmen könnten dort viel Geld verdienen, vorausgesetzt, sie stellen sich auf die Bedürfnisse ihrer neuen Kunden ein. „Wir sehen deutlich steigende Ausgaben in Russland, China, Indien, Saudi-Arabien und dem Oman“, sagt Craig Caffrey, Senioranalyst für Verteidigung und Sicherheit bei IHS. „In vielen Nato-Staaten dagegen schrumpfen die Etats. Die Militärausgaben folgen damit dem wirtschaftlichen Wachstum.“ Westliche Rüstungsfirmen wie Krauss-Maffei, BAE und Halliburton könnten von dieser Verschiebung profitieren. „Sie müssen sich in einem zunehmend härteren Wettbewerb durchsetzen“, sagt Caffrey, „und lernen, sich auf ihre asiatischen Kunden einzustellen.“

Vor allem der Mittlere Osten spart nicht, wenn es um das Militär geht: So zeigt der IHS-Report, dass 2013 allein im Oman 9,2 Milliarden Dollar, rund 6,8 Milliarden Euro, für Waffen, Munition und Panzer ausgegeben wurden, eine Steigerung um 115 Prozent im Vergleich zu 2011. Ähnlich sieht es in Saudi-Arabien aus: „Das Land hat sein Budget allein 2013 um 19 Prozent gesteigert“, sagt Craig Caffrey. In Asien verzeichnen die Analysten seit 2009 ein stetes Wachstum. Den Erwartungen zufolge soll die Region im Jahr 2020 für 28 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben verantwortlich sein. Rund 474 Milliarden Dollar, etwa 350 Milliarden Euro, sollen die Asiaten für Militär ausgeben.

Ein Grund für die Steigerung sei das Erstarken Chinas und die zunehmende Sorge der Nachbarländer des Reichs der Mitte vor militärischer Dominanz. „Die Aktionen Chinas – sowohl die tatsächlichen als auch die angenommen – beeinflussen die Nachbarstaaten stark in Bezug auf ihre militärischen Ambitionen“, heißt es in dem Report. Konflikte wie der chinesisch-japanische Streit um eine unbewohnte Inselgruppe im Pazifik – die Diaoyu- oder Senkaku-Inseln – und die damit einhergehende militärische Rhetorik verstärkten bei den Anrainerstaaten den Eindruck der Bedrohung. „Australien, Indien und Südkorea erhöhen alle ihre Verteidigungsbudgets“, sagt Craig Caffrey. Auch Japan, wo die Sparpolitik lange Zeit die Ausgaben begrenzte, steigert nun die Ziele für 2014. Indien, so schätzen die Analysten, wird 46,2 Milliarden Dollar, rund 34,2 Milliarden Euro, für Militär ausgeben.

China gibt IHS zufolge 2015 159,6 Milliarden Dollar, etwa 118 Milliarden Euro, für Rüstungsgüter und Verteidigung aus, während das Vereinigte Königreich, Frankreich und Deutschland zusammen auf 149 Milliarden Dollar, rund 110 Milliarden Euro, kommen. Werden Ausgaben für Forschung und Entwicklung hinzugezogen, schafft China inzwischen einen Anteil von neun Prozent bei den weltweiten Militärausgaben – mehr als zehnmal so viel wie Taiwan, der kleinere Nachbar des Riesenreichs, der sich zunehmend bedroht sieht. „Die höheren Ausgaben in Asien sind ein Indikator für die geopolitische Verschiebung Richtung Osten“, sagt Guy Eastman, Senior Analyst bei IHS. „Dies ist an sich jedoch kein Grund zur Besorgnis – es ist eher ein Zeichen für eine Ausbalancierung des starken militärischen Ungleichgewichts nach dem Fall der Sowjetunion.“

Russland verfolgt laut IHS-Report ebenfalls ambitionierte Rüstungspläne: Die Duma, das russische Parlament, hat eine Erhöhung der Ausgaben auf 98 Milliarden Dollar, rund 73 Milliarden Euro, bis zum Jahr 2016 beschlossen. Das macht Russland zum drittgrößten Militärmarkt der Welt, eine weitere Verschiebung militärischer Macht auf dem Globus. Dies hängt auch mit dem Rückgang der amerikanischen Militärausgaben zusammen. „Mit dem Rückgang in Westeuropa ist das einer der Gründe dafür, warum die militärische Präsenz des Westens weiter zurückgeht“, sagt Guy Eastman. Wie in Europa verschlanken die USA ihre Truppen derzeit, sodass auch amerikanische Rüstungsfirmen verstärkt nach neuen Märkten in Übersee suchen.

Das ist aber besonders für Deutschland schwierig, wo es stets erhebliche Widerstände gegen Rüstungsexporte gibt. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) muss sich derzeit gegen Kritik an der Bürgschaft für ein milliardenschweres Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien auseinandersetzen. Die mehr als 100 bestellten Patrouillen- und Grenzüberwachungsboote wolle das Königreich zum Schutz seiner Tanker und Erdölplattformen einsetzen. „Mit Patrouillenbooten können sie nicht auf Plätzen die eigene Bevölkerung unterdrücken. Die können sie nicht einsetzen wie Panzer“, betonte Gabriel.

Die Oppositionsparteien fordern, das Geschäft zu stoppen. „Waffen für Saudi-Arabien sind Waffen für ein autokratisches Regime und potenzielle Waffen für einen Krieg“, erklärte die Linken-Vorsitzende Katja Kipping in Berlin. Sie erinnerte daran, dass der Vizekanzler öffentlich gegen Rüstungsexporte in Krisenregionen Stellung bezogen hatte: „Das ist für Gabriel eine Frage der Glaubwürdigkeit.“ Auch das Bündnis „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ hatte den Ressortchef zum Handeln aufgefordert.