Opposition blockiert Abstimmungslokale und hindert Hunderte Bürger an der Stimmabgabe. Das verschärft die Lage im Land

Bangkok. „Respektiert meine Stimme!“ steht in dicken Lettern auf dem Schild, das die ältere Frau wütend durch Bangkok trägt. Sie hat – wie wohl die meisten Wähler – für Thailands Regierungspartei gestimmt, für Premierministerin Yingluck Shinawatra, jene Frau, die ihre Gegner seit drei Monaten aus dem Amt jagen wollen. Trotz Boykottaufrufen, trotz Blockaden, Sabotage und zum Schließen gezwungener Wahllokale haben die Thailänder am Sonntag gewählt.

„Heute ist ein wichtiger Tag“, verkündete die umstrittene Premierministerin, als sie schon am frühen Morgen selbst zur Wahl ging. „Ich möchte die Menschen in Thailand einladen, herauszukommen und zu wählen, um die Demokratie aufrechtzuerhalten.“ Doch noch bevor die letzte Stimme abgegeben war, meldete sich auch schon der Anführer der Protestbewegung, Suthep Thaugsuban, selbstzufrieden zu Wort: „Wenn sie die Wahlurnen heute schließen und alle Stimmen zählen, werden sie nicht in der Lage sein, eine Liste der Abgeordneten für das Parlament zu verkünden, denn die Abstimmung wird nicht vom gesamten Land stammen. Deshalb ist diese Wahl eine reine Geldverschwendung.“ Er kündigte an, die Premierministerin wegen dieser vergeudeten 3,8 Milliarden Baht (umgerechnet etwa 8,5 Millionen Euro) Steuergelder zu verklagen.

Thaugsuban hat nicht ganz unrecht: Gegen den Willen der Opposition und sogar gegen den der nationalen Wahlkommission hat Shinawatra diese Neuwahlen durchgesetzt. Seit 15 Uhr Ortszeit sind die Urnen geschlossen, die Stimmabgabe ist beendet – und nichts wird gewonnen sein. Auch wenn ihre Pheu-Thai-Partei („Für Thais“) wie erwartet eine neue Mehrheit erzielt hat (die Opposition der Demokraten hat seit über zwei Jahrzehnte keinen Wahlsieg errungen), werden nicht genügend Abgeordnete aus der Wahl hervorgehen, um ein regierungsfähiges Ergebnis hervorzubringen. Es wird also in jedem Fall zu einem politischen Vakuum in dem südostasiatischen Königreich kommen. Selbst als Siegerin wird die Premierministern angreifbar bleiben. Ohne das nötige Quorum an Parlamentariern wird sie keine Gesetze verabschieden oder sonstige Entscheidungen durchsetzen können, die das geplagte Land und dessen wackelnde Wirtschaft so dringend bräuchten. Zunächst einmal wird aber gar nichts bekannt gegeben. Noch werden die Stimmen ausgezählt und die Ergebnisse an die Wahlkommission geschickt. Die wird sie dann so lange zurückhalten, bis sie Neuwahlen für die blockierten Wahlbüros und die verhinderte vorzeitige Stimmabgabe reorganisiert hat. Dies kann Wochen dauern.

Eines aber zeichnet sich schon jetzt ab. Unverhältnismäßig viele Wähler haben „No Vote“ auf ihren Stimmzetteln angekreuzt: Enthaltung. Die Botschaft ist deutlich: Viele Thais sind mit beiden Seiten dieses monatelangen Konfliktes, der ihre Heimat lähmt, nicht einverstanden. Am Ende verlieren alle. Rund zehn Prozent der Wahllokale in Bangkok und dem Süden des Landes, dort, wo die Regierungsgegner ihre Hochburgen haben, konnten gar nicht öffnen: Teils weil sie von Demonstranten blockiert waren, teils weil diese die Verteilung der Stimmzettel schon an den Postämtern verhindert hatten. Selbst der Chef der thailändischen Wahlkommission konnte von seinem Stimmrecht keinen Gebrauch machen: Sein Wahllokal war ebenfalls geschlossen. Die Wahlbeamten waren gar nicht erst zum Dienst erschienen. In einem Distrikt in Bangkok bastelten sich die Wähler gar ihre eigenen Wahlurnen und -scheine, als die offiziellen ausblieben. Auch im Distrikt Din Daeng fehlten die Wahlzettel. 150 erboste Wähler, Anhänger der Regierung, marschierten daraufhin zum Büro des Distriktchefs. Sie drückten das Tor auf, ohne dass die wenigen Polizeibeamten sie hätten aufhalten können, und verlangten ihr Recht, wählen zu dürfen.

Die Opposition betonte: „Wir blockieren die Wahl nicht, wir schieben sie auf“, erklärte der Aktivist der Regierungsgegner Nipon Kaewsook, „wir brauchen immer noch eine Neuwahl, aber wir brauchen zuerst Reformen.“ Obwohl die Hauptstadt von Sicherheitskräften nur so strotzte – 12.000 Polizisten waren im Einsatz, insgesamt 140.000 im ganzen Land – und noch am Sonnabendabend im Norden Bangkoks Schüsse fielen und sieben Personen verletzt wurden, verlief der Sonntag überwiegend friedlich. „Die Lage ist allgemein ruhig, und wir haben heute Morgen keinerlei Berichte über Gewaltanwendung erhalten“, erklärte der Chef des Nationalen Sicherheitsrates gegenüber Journalisten. „Die Demonstranten protestieren friedlich, um ihrer Ablehnung dieser Wahl zum Ausdruck zu bringen.“

In den Bezirken Bangkoks, die eher der Opposition zugerechnet werden, erschienen die Wähler nach Augenzeugenberichten sehr zögerlich. „Nur alle paar Minuten tauchte einer auf, um sein Kreuz zu machen“, erzählte ein Anwohner. In den Hochburgen der Regierung allerdings standen die Wähler Schlange. Hier und da kam es zu kleinen Konfrontationen, weil Demonstranten versuchten, ihnen den Zugang zu verwehren. Später sperrte die Polizei die Straßen ab und trennte die Gruppen.

In der südthailändischen Provinz Pattani explodierte eine Bombe, und ein Wahlbeamter wurde dabei getötet, doch der Polizei zufolge hatte dieser Anschlag nichts mit der Wahl zu tun, sondern war Teil des seit Jahren andauernden Aufstands im Süden des Landes. Vor allem im Norden des Königreichs, dort, wo die Familie Shinawatra ihre Wurzeln und ihre treuen Anhänger hat, lief die Stimmabgabe wie am Schnürchen. Am Nachmittag veranstalteten die siegessicheren Regierungsgegner ein großes Picknick in der Stadt. Volksfeststimmung an einem Wahltag, der nichts bewegen kann. Die wohlhabenden Bangkoker erschienen zum Schlemmen. Die Gegner Shinawatras stammen vor allem aus Thailands Elite. „Sind wir hier etwa der Mob?“, fragt eine elegante Dame. Es gab Eiscreme umsonst, und Händler verkauften kitschige Memorabilia in den thailändischen Nationalfarben Rot, Blau und Weiß. Außerdem T-Shirts mit der Aufschrift „Restart Thailand“. Der Erlös, so heißt es, soll in Protestführer Sutheps „Kriegskasse“ fließen.

Allerdings, so die „Bangkok Post“, könne es Thaugsuban und seinem Mob zwar gelingen, die Regierung zu blockieren. Sein Problem sei aber, dass „es seine Popularität nicht steigert, sich mit den Wählern anzulegen und den Zugang zu legitimen Geschäften zu blockieren“. Im Gegenteil. „Er hat seit Wochen keine neue Rede gehalten oder kam mit einer neuen verlockenden Idee heraus.“ Doch der Premierministerin gehe es auch nicht besser: „Sie steckt in einer noch engeren Box. Sie kann immer noch Papiere unterzeichnen, aber sie kann keine ihrer Maßnahmen weitertreiben, weil sie nicht autorisiert ist, diese zu finanzieren.“ Yingluck Shinawatra habe gehofft, Thaugsuban werde sich abnutzen, aber das sei nicht geschehen. Optimisten glauben an eine Kooperation der beiden. Pessimisten befürchten, dass beide Führer bei ihrer harten Linie bleiben.