Der ehemalige Pentagon-Chef Robert Gates kritisiert den US-Präsidenten in einem Buch scharf

Washington. Das politische Washington ist überrascht und das Weiße Haus verstimmt: Robert Gates, der so diszipliniert wirkende ehemalige Verteidigungsminister Barack Obamas, hat ein Buch mit massiver Sprengkraft vorgelegt: Ein Präsident, der seiner eigenen Afghanistan-Strategie nicht traut und sie mit wahltaktischen Erwägungen verwässert; ein Vize-Präsident, der Obamas Verhältnis zu den Spitzenmilitärs „vergiftet“ habe; ein Kongress, dessen Mitglieder zumeist „inkompetent“ seien und „sich selbst (und ihre Wiederwahl) vor das Land“ setzen. Das sind nur einige der brisanten Urteile von Gates, der während seiner Amtszeit einen Freund per E-Mail wissen ließ: „Die Leute haben keine Ahnung, wie sehr ich diesen Job verabscheue.“

Selten hat ein Washingtoner Insider so ungeschminkt über das Innenleben der Macht berichtet. Und dann überschrieb der 70 Jahre alte Republikaner seine 594 Seiten starken „Memoiren eines Ministers im Krieg“ auch noch mit dem Wort „Duty“ (Pflicht). Mutmaßlich hielt Gates es für geboten, seinen Unmut über den Washingtoner Politbetrieb öffentlich zu machen. Wenige sind dazu berufener als er: Der promovierte Historiker (Schwerpunkt: russische Geschichte) und einstige CIA-Chef diente seit Richard Nixon allen Präsidenten außer Bill Clinton. Pentagon-Chef wurde Gates gegen Ende der Amtszeit von George W. Bush im November 2006. Er blieb im Amt unter Obama bis zum Juli 2011, und der Präsident verabschiedete den Verteidigungsminister von der anderen Partei mit der „Freiheitsmedaille“, der höchsten zivilen Auszeichnung, – und den freundlichen Worten, er und Gates dächten in wichtigen Punkten gleich.

Ganz ähnlich äußert sich Gates nun auch in seinem Buch. Doch perfekt war die Harmonie zwischen Präsident und Pentagon-Chef keineswegs, wie wir jetzt lernen. Zwar kommt Obama über weite Passagen gut weg. Der Präsident sei ein „gründlicher Denker“, der regelmäßig Entscheidungen traf „im Widerspruch zu seinen politischen Beratern“ und die „unpopulär bei seinen demokratischen Parteifreunden“ waren. Eine der „mutigsten Entscheidungen“ sei es gewesen, 2011 die Navy Seals in das pakistanische Versteck von Osama Bin Laden in Abottabad zu schicken, obwohl kein Beweis vorlag, dass sich der Al-Qaida-Chef dort aufhielt, urteilt Gates. Er selbst hatte empfohlen, den Unterschlupf aus der Ferne mit einer Rakete zu beschießen.

Zum Afghanistan-Krieg schreibt Gates: „Ich bezweifelte nie, dass Obama hinter unseren Truppen stand, wohl aber, dass er hinter der Mission stand.“ Sehr frühzeitig habe der Präsident Zweifel an seiner eigenen, im Jahr 2009 getroffenen, Entscheidung bekommen, mit 30.000 zusätzlich an den Hindukusch geschickten Soldaten das Kriegsgeschick wenden zu wollen.

Gates vergleicht Obama mehrfach mit Bush: Beide seien sich im Stil nicht unähnlich. Beide hätten keinen Wert darauf gelegt, enge Kontakte zum Kongress oder zu auswärtigen Regierungschefs aufzubauen, obgleich diese wichtig seien. Und mit Blick auf beide attestiert Gates, gerade im Zeitalter von ferngelenkten Kampfdrohnen sei es für US-Präsidenten zu einfach geworden, kriegerische Mittel anzuwenden: „Unsere Außen- und nationale Sicherheitspolitik ist zu sehr militarisiert.“

Über Vizepräsident Joe Biden (ein „Mann von Integrität“, der aber „bei nahezu jeder Frage der großen Außenpolitik und der nationalen Sicherheit in den vergangenen vier Jahrzehnten falsch lag“) und den Kongress (dessen Mitglieder hätten durch persönliche Attacken bei Anhörungen, insbesondere dann, wenn Fernsehkameras liefen, „nahezu jede Norm zivilen Betragens verletzt“) fällt Gates’ Urteil noch viel harscher aus. Mitarbeitern des Nationalen Sicherheitsrats wirft er anmaßendes „Mikromanagement und operatives Einmischen“ vor, wodurch das Weiße Haus „die am stärksten zentralisierte und kontrollierende“ Sicherheitspolitik seit Nixon betrieben habe. Zu ergänzen ist hier, dass die Meinung im Weißen Haus über den selbstbewussten Gates auch nicht durchgängig freundlich war.

Nur für die vormalige Außenministerin Hillary Clinton („smart, rastlos, idealistisch, aber pragmatisch“), mit der Gates zumeist harmonierte, kommt das Buch fast wie eine Empfehlung für die Präsidentschaftswahl 2016 daher.

Allerdings mit einer Ausnahme: In einem Gespräch habe Clinton dem Präsidenten gestanden, dass ihre Kritik im Wahlkampf 2008 an der massiven Truppenverstärkung des Vorjahres im Irak vor allem taktischer Natur war, um Obama, dem erklärten Gegner dieses Krieges, Vorwahlstimmen in Iowa abzujagen. Und dann: „Der Präsident räumte vage ein, dass die Opposition zur Truppenverstärkung im Irak taktischer Art war.“ Diese eingestandene Unterordnung der Sicherheitspolitik unter Wahlkampferwägungen „in meiner Gegenwart war so überraschend wie erschreckend“, schreibt Gates.

Das Buch kommt am Dienstag in den Vereinigten Staaten in den Handel. Bislang sind aus dem „Wall Street Journal“ lediglich Auszüge und aus der „New York Times“ und der „Washington Post“ Vorabrezensionen bekannt. Aber das Weiße Haus reagierte schon auf die Kritik des Ex-Ministers. Über Caitlin Hayden, die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, ließ Obama wissen, für Afghanistan habe er einen „klaren Plan“ und Joe Biden sei „einer der fähigsten Staatsmänner seiner Zeit“. Es ist außerdem zu hören, der Präsident halte vom Autor Gates deutlich weniger als von seinem ehemaligen Minister Gates.