Gipfel verschiebt Beschlüsse zu Reformverträgen auf den Herbst. Länder fürchten strenge Reformauflagen und Kontrollen ihrer Haushalte

Brüssel. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war 2013 ein „arbeitsreiches, erfolgreiches Jahr“ – aber es endete für sie mit einem schweren Dämpfer: Die Mehrheit der 28 EU-Länder lässt sie bei den „Reformverträgen“ auflaufen, die nun „Partnerschaften“ heißen sollen. Beschlüsse wird es frühestens im Oktober 2014 geben – drei Monate später als noch vor wenigen Tagen geplant. „Ich bin froh über die Verschiebung“, sagte Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Werner Faymann. Merkel aber will nicht lockerlassen: „Ich werde dafür kämpfen“, sagte sie. Die Verschiebung auf Oktober „sei deshalb erfolgt, weil man jetzt plötzlich sieht, dass es vielleicht doch etwas damit werden könnte“.

Aber wie weit wird sie damit kommen? Faymann bezeichnete den Plan Merkels, verbindliche Reformen bilateral mit der EU-Kommission auszuhandeln, deren Umsetzung streng und engmaschig kontrolliert wird, als „unausgegoren“. „Das lassen sich viele nicht gefallen“, sagte Faymann. Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionschef José Manuel Barroso, die die Idee gutheißen und verteidigten, sollen sie nun bis zum Herbst so weit ausarbeiten, dass sich die EU-Länder doch damit anfreunden können.

Neben Österreich gibt es vor allem auch in Belgien, den Niederlanden und in Südeuropa Vorbehalte. Die einen fürchten strenge Reformauflagen, die anderen haben Wahlen ins Haus stehen und wollen jeden Eindruck vermeiden, die EU-Kommission diktiere ihnen, was zu tun sei. Besonders mit Blick auf die Europawahl im Mai gilt es für viele, die weithin ungeliebte Kontrolle des Sparkurses, der in vielen Ländern mit Merkels Namen verbunden wird, nicht noch von den Hilfsempfängern auf alle Euro-Staaten auszudehnen.

Nur wenige Länder wie Finnland und Dänemark stehen fest an der Seite der Deutschen. Das Ziel der Befürworter ist es, sicherzustellen, dass die Länder die jährlichen Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik aus Brüssel endlich ernst nehmen und umsetzen. Aus zwei Gründen scheint den Befürwortern das angezeigt: Zum einen lässt der Druck der Märkte nach, die Finanzierungskosten der Krisenländer sind seit dem Höhepunkt der Krise im vergangenen Sommer erheblich gesunken. Herabstufungen durch Rating-Agenturen, wie neulich im Fall der Niederlande, lösen nicht mehr Panik, sondern Achselzucken aus.

Zum anderen sucht Europa nach neuen Instrumenten zur Garantie von Reformen, weil die heutigen kaum wirken. Die EU-Kommission hat bislang kaum Handhabe, wenn sich ein EU-Staat nicht an ihre Vorschläge hält. Merkels Reformverträge sollen daher nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche funktionieren. Das erinnert an die Vorgehensweise der Troika, die die europäischen Hilfsempfänger kontrolliert – eine unangenehme Assoziation für die meisten: Wenn ein Land, so Merkels Vorstellungen, die vereinbarten Reformen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Forschung, Bildung oder der öffentlichen Verwaltung fristgerecht und vollständig umsetzt und die EU-Kommission die Fortschritte mehrmals im Jahr penibel überprüft hat, dann winken Kredite oder Finanzhilfen als Belohnung. Aber eben nur dann: „Wenn es nichts an Reformen gibt, brauche ich auch nichts herzugeben“, sagte Merkel. Auch von daher bleibt offen, aus welchem Topf die Belohnungen bezahlt werden könnten.

„Es ist völlig unklar, woher das Geld kommen soll“, sagte Frankreichs Staatspräsident François Hollande, den die Kanzlerin im vergangenen Sommer zu einer schriftlichen Zusage gebracht hatte, dass die Verträge kommen sollen. Woher also das Geld? „Nicht aus dem EU-Etat jedenfalls“, hieß es in der Kommission. Die Bundesregierung hatte bereits früher vorgeschlagen, die Einnahmen aus der geplanten Finanztransaktionssteuer als Belohnungen auszuschütten. Die Gelder sind aber auch schon national verplant. Außerdem ist unklar, ob die Steuer auf Finanzgeschäfte jemals kommen wird und wie hoch die Erlöse überhaupt sein werden.

Wenn das Geld nicht aus dem EU-Haushalt kommt, muss ein neuer Budgettopf eigens für die Euro-Zone eingerichtet werden – eine Neuerung und ein riskantes Spiel, das die Europäische Union spalten könnte und das einige so systematische wie praktische Probleme mit sich bringt. Für die Mitglieder der Währungsunion nämlich sollen die Verträge verbindlich sein, für alle anderen EU-Staaten freiwillig. Dänemarks Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt etwa bekannte bereits, ihr Land werde sich beteiligen. Aber würden die Dänen, die mit Kronen zahlen, auch aus einem Euro-Budget belohnt?

Der europapolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Manuel Sarrazin, hat die EU-Politik Merkels scharf kritisiert: „Die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise braucht europäische Lösungen und keine Kleinstaaterei“, sagte Sarrazin dem Hamburger Abendblatt. Das gelte auch für die Bankenunion, die „nach dem massiven Druck der Bundesregierung nur noch ein Torso ist“. Die Kritik des EZB-Präsidenten Mario Draghi und des Europäischen Parlaments würden zudem zeigen, dass diese Lösung Europa keine Stabilität bringen werde. „Ganz nebenbei bricht Merkel mit ihrem Versprechen vom Juni-Gipfel, den Teufelskreis zwischen maroden Banken und Staaten durchbrechen zu wollen“, hob Sarrazin hervor. Auch andere Politiker bemängeln das komplizierte Verfahren bei der Entscheidung zu Abwicklungen von Banken und ein Übergewicht nationalstaatlicher Kompetenzen dabei.