Dahinter steckt ein erbitterter Machtkampf im islamischen Lager um Posten und Pfründe

Istanbul. Drei Ministersöhne verhaftet. Anträge zur Aufhebung der Immunität von vier Ministern aus dem inneren Kreis des türkischen Regierungschefs Recep Tayyip Erdogan, darunter EU-Minister Egemen Bagis. Korruptionsvorwürfe in dreistelliger Millionenhöhe rund um einen eigentlich mit einem Embargo belegten Goldhandel mit dem Iran. Abgekartete staatliche Aufträge und fragwürdige Baugenehmigungen trotz Natur- und Denkmalschutz. Laut türkischen Medienberichten soll allein Wirtschaftsminister Zafer Caglayan 40 Schmiergeldzahlungen in Höhe von rund 40 Millionen Euro kassiert haben.

Wenn auch nur ein Bruchteil der Vorwürfe der Staatsanwälte stimmt, dann erlebt die Türkei derzeit den größten Korruptionsskandal, an den sich irgendjemand erinnern kann. In einem Land ohne jede Kultur von Transparenz und Verantwortung ist es nicht üblich, dass solche Dinge aufgedeckt werden. Dass es nun geschieht, liegt nur daran, dass ein zentraler Akteur im Kampf um die politische Macht einen anderen erledigen will. Der Angegriffene ist Ministerpräsident Erdogan. Er sagt es selbst, „dunkle Mächte“ im In- und Ausland wollen ihn stürzen, ebenso ein „Staat im Staat“ in der Türkei. Er verglich die Ereignisse mit dem sogenannten „postmodernen Coup“ von 1997/98, als die damalige Führung unter Fundamentalistenführer Necmettin Erbakan über informelle Machtstrukturen des damaligen kemalistischen Establishments zum Rücktritt gezwungen wurde.

Dieser Satz Erdogans war eine unverhüllte Drohung. Wenn er den Machtkampf überlebt, könnten jene, die seine Leute der Korruption überführen wollen, als „Putschisten“ im Gefängnis landen. Wer „jene“ sind, die ihm an den Kragen wollen, gilt zumindest in den türkischen und internationalen Medien als gesichert: der in den USA lebende Prediger Fetullah Gülen und seine in der Türkei sehr einflussreichen Netzwerke frommer Sympathisanten. Der Konflikt zwischen Erdogan und Gülen hat wahrscheinlich wenig mit Ansichten zu tun, es geht um Posten und Pfründe und darum, welche Strömung innerhalb des islamischen Lagers die Führungsrolle übernimmt, nachdem die alte kemalistische Elite und das einst säkular gesinnte Militär ihren Einfluss weitgehend verloren haben.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (CHP) verlangte im Parlament eine Erklärung zu den Ereignissen, auch zu der Frage, warum die betroffenen Minister noch kein Rücktrittsgesuch eingereicht hätten, um die Ermittlungen zu erleichtern. Zu Erdogans Vorwurf einer „organisierten Bande“ im Staat meinte er, die eigentliche Bande seien die der Korruption verdächtigten Minister, und „Erdogan ist ihr Anführer“. Ferner sagte er, an Erdogan gerichtet: „Es ist die Aufgabe des Ministerpräsidenten, in einem solchen Fall alles Erforderliche zu tun. Wenn Sie es nicht tun, gehören Sie zu dieser Bande.“