Gäste der Trauerfeier würdigen den früheren Präsidenten Südafrikas. Barack Obama vergleicht dessen Lebenswerk mit dem von Gandhi

Johannesburg. Sie hatten Matratzen und Campingstühle dabei. Erst am Vorabend waren die weißen Südafrikaner Bruce Bartlett und seine Schwester Nikki aus England angereist, sie hatten sofort Urlaub genommen, als sie vom Tod Mandelas erfahren hatten. Vor dem FNB-Stadion von Soweto regnete es, bis zum Beginn der Trauerfeier für Nelson Mandela sollten noch 16 Stunden vergehen.

Sie verbrachten die Nacht im Nieselregen, teilten sich Stühle und Regenschirme mit einigen dunkelhäutigen Studenten aus Soweto. Und bevor die Nacht vergangen war, hatten sie ihre Lebensgeschichten ausgetauscht – weiße Mittelschicht auf der einen Seite, zukünftige schwarze Mittelschicht auf der anderen. Der Regen? Ja, unangenehm. Aber ist das wirklich der Rede wert, fragt Sibusiso Kubayi, der bald sein Studium des Maschinenbaus abschließen wird: „Nelson Mandela hat sein halbes Leben für uns gelitten, was ist da eine Nacht im Regen?“

Mandela war am Donnerstag im Alter von 95 Jahren gestorben, seitdem erlebt die Nation eine zehn Tage andauernde Volkstrauer. 53 Präsidenten, 13 Premierminister, sechs Prinzessinnen, ein Prinz, ein König und eine Königin waren nach Südafrika gereist, um sich von Mandela zu verabschieden. Nach Angaben des Außenministeriums gab es noch nie so viele hochkarätigen Staatsgäste auf einmal im Land. Ort der Feier war das Stadion, in dem vor gut drei Jahren das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft stattgefunden hatte. Nur ein paar Kilometer weiter hatte er 1990 nach 27 Jahren im Gefängnis vor 100.000 jubelnden Menschen eine flammende Rede für die Demokratie gehalten.

Vor allem aber sollte sich die Nation verabschieden können. Angehörige Mandelas würdigten den Verstorbenen als Halt und Fels der Familie. Die Regierung hatte zuvor Überlegungen verworfen, einen Feiertag auszurufen, zu groß wäre wohl der Ansturm gewesen. Mehrere Ausweichstadien waren eingerichtet worden. Doch dann setzte der Regen ein, so ausdauernd wie seit Monaten nicht in Johannesburg. Der ganz große Ansturm blieb aus. Und doch harrten 55.000 Zuschauer viele Stunden lang aus, unter einem Meer aus Regenschirmen – und obwohl die Organisatoren ein liebloses Programm zusammengestellt hatten, das fast ausschließlich aus Redebeiträgen bestand.

„Eine Arena, die so groß wäre wie der gesamte afrikanische Kontinent, wäre nicht groß genug, unseren Schmerz aufzunehmen“, sagte Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon. „Wir sind vereint in der Trauer für einen großen Mann und wir feiern sein großes Leben.“ Mandela sei ein Versöhner über den Tod hinaus. „Er hat die großartige Macht der Vergebung gezeigt – indem er Menschen zusammenbrachte. Das ist die wahre Bedeutung von Frieden“, sagte Ban. „Seht euch in diesem Stadion um. Wir sehen Verantwortungsträger, die ganz gegensätzliche Standpunkte vertreten, Menschen aus allen Schichten. Alle sind hier vereint.“

Es wird wohl tatsächlich nicht mehr allzu viele Veranstaltungen in der Karriere von US-Präsident Barack Obama geben, bei der er sich das Rednerpult mit dem kubanischen Präsidenten Raul Castro teilen wird. Die beiden Männer gaben sich die Hand. Amerikanische Journalisten interpretierten den Begrüßungshandschlag als weiteren kleinen Schritt der USA, die Beziehungen zu Kuba zu verbessern.

Obamas Rede war die vielleicht persönlichste der internationalen Gäste. Und die Trauergäste auf den Tribünen feierten den ersten schwarzen Präsidenten der USA, der den ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas als „Geschichtsgiganten“ und „letzten großen Befreier des 20. Jahrhunderts“ würdigte. Immer begleitete Jubel die Sätze des US-Präsidenten. „Vor mehr als 30 Jahren, als ich Student war, lernte ich von Mandela und seinen Kämpfen in diesem Land. Das regte mich an. Es erweckte mein Verantwortungsgefühl – für mich, für andere – und es brachte mich so auf diese unwahrscheinliche Reise, die mich bis hierhin führte. Und obwohl ich Madibas Vorbild nie gerecht werden kann, will ich ein besserer Mensch sein. Er spricht zu den Dingen in uns, die am Besten sind.“ Die von Mandela verkörperten Ideale müssten weitergelebt werden, forderte Obama die Menschen auf.

Castro erinnerte an die gemeinsame Geschichte seines Landes mit Südafrika. „Kuba, ein Land das im Kampf um die Unabhängigkeit geboren wurde, hatte das Privileg, zusammen mit dem südafrikanischen Volk zu kämpfen“, sagte Castro. „Wir werden nie vergessen, wie sich Mandela auch an unseren gemeinsamen Kampf erinnerte.“

In welchem Verbund Südafrika seine Zukunft sieht, offenbarte ein Blick auf die Rednerliste. Neben Obama waren die Präsidenten der Schwellenländer Brasiliens und Indiens sowie der Vize-Präsident Chinas ans Mikrofon gebeten worden, dazu die Staatsoberhäupter von Kuba und Namibia. Ein Repräsentant aus dem Kontinent der alten Kolonialmächte Europa kam nicht zu Wort.

Seit Mandelas Tod am Donnerstagabend zeigen viele Südafrikaner sich wild entschlossen, sein Leben zu feiern, statt sich in ihrem Schmerz zurückzuziehen. „Mandela, yo, my president“, hallte es während der ersten Stunden durch das Stadion, oder „Mandela, akekho ofana nawe“ – „Mandela, es gibt keinen anderen wie dich.“ Nur langsam verebbte diese magische Stimmung angesichts des Regens und schier endloser Reden. Bis Freitag wird Mandelas Körper am Regierungssitz in Pretoria aufgebahrt werden, danach soll er in seinem 1000 Kilometer entferntem Heimatdorf Qunu am Ostkap begraben werden.