Chinas Schüler erzielen Bestnoten. Peking setzt auf sie, um seine Wirtschaft anzukurbeln

Nanjing. Die 16-Jährige Hu, Schülerin an der Nanjing Foreign Language School, hat einen Auftrag erhalten, und den nimmt sie sehr ernst: Die chinesische Bildungsoffensive einem internationalen Publikum verkaufen. Hu führt eine Gruppe aus deutschen, britischen und chinesischen Journalisten über das Gelände ihrer Schule in der chinesischen Millionenstadt Nanjing.

Die Eltern der 5600 Schüler investieren zwischen 1200 und 4200 Euro pro Halbjahr, damit der Nachwuchs später eine der Spitzenuniversitäten besuchen kann. Das Fernziel ist, einen gut bezahlten Job in der Industrie oder Finanzbranche zu ergattern. Die Nanjing Foreign Language School mit ihren 560 Lehrern und den Partnerschulen in Australien, Deutschland und den USA gilt als eine der besten der Provinz. Der Unterricht beginnt um acht Uhr, vor neun Uhr abends ist Hu nie fertig mit Hausaufgaben und den pflichtmäßigen Hobbys, die auch zu ihrem strammen Programm gehören. Am Wochenende erhält sie Zusatzunterricht, um das Lernpensum zu bewältigen.

Der Leistungsdruck an Chinas Schulen ist enorm, hemmt nicht nur die Kreativität, sondern führt auch immer wieder zu Verzweiflungstaten: Erst im Mai nahmen sich in ein 13- und ein 15-jähriger Junge das Leben, weil sie es nicht geschafft hatten, die Hausaufgaben über die Feiertage zu erledigen. An einer Universität in Südchina mussten die neuen Studenten jetzt sogar unterschreiben, dass die Verantwortung für einen Selbstmord nicht bei der Universität liege.

Seit 1998 hat die Volksrepublik ihre Bildungsausgaben von Jahr zu Jahr gesteigert: 2010 waren es bereits 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, drei Jahre später stellten sie mit vier Prozent bereits den größten Posten im Budget. Damit die Wirtschaft weiter wächst, setzt die Führung in Peking auf Fortschritte in Wissenschaft und Forschung. Die Zahl der staatlich anerkannten Universitäten hat sich seit 2000 mehr als verdoppelt, und im Jahr 2013 gab es erstmals 6,99 Millionen Uni-Absolventen – dreimal mehr als 2003. Bis 2020 soll der Anteil von Jugendlichen, die in höheren Bildungseinrichtungen eingeschrieben sind, von 15 auf 25 Prozent steigen. Nachholbedarf haben in China vor allem die ländlichen Gebiete, wo die Schüler nach der neunjährigen Pflichtschulzeit seltener weiterlernen.

Dabei ist der Zugang zu Bildung nur eine Seite der Medaille. Was die chinesische Wirtschaft im globalen Wettbewerb wirklich braucht, ist Nachwuchs, der sein Wissen kreativ anwenden kann. „Davon wird die Zukunft des Landes abhängen“, sagt Andreas Schleicher, stellvertretender Direktor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Bisher sei das chinesische Bildungssystem auf überprüfbare Ergebnisse angelegt – empirisches Wissen also, mit dem sich Wettbewerbe gewinnen lassen. „Aber China ist inzwischen auf der Suche nach Innovation und Kreativität, damit seine Bürger Produkte, Dienstleistungen und Ideen entwickeln, die Chinas Wirtschaft voranbringen – man will weg von einem System, dass nur auf billigen Arbeitskräften aufbaut“, sagt Yong Zhao, Professor am Lehrstuhl für Erziehung an der Universität von Oregon. Wunsch und Wirklichkeit sind in diesem Bereich aber noch weit auseinander.

Eine Kennziffer dafür sind beispielsweise Patentanmeldungen. Weltweit steht China mit seinen 1,6 Millionen Patentanmeldungen im Jahr 2012 auf Platz zwei. Doch nur 30 Prozent davon gelten einer Studie der Europäischen Handelskammer zufolge als Hochqualitätspatente mit wirtschaftlichem Potenzial.