Machtkampf um den Einfluss in früheren Sowjetrepubliken. Moskau übt massiven Druck auf Kiew aus

Brüssel. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite arbeitet seit Jahren auf diesen Tag hin. An diesem Freitag wollte sie als Gastgeberin des Gipfels der Östlichen Partnerschaft mit der Ukraine einen beispiellosen Pakt für EU-Assoziierung und freien Handel unterschreiben. Doch Kiew machte auf Druck des großen Nachbarn Russland eine Kehrtwende. Der fertige Vertrag bleibt vorerst in der Schublade. In der Ukraine brodelt es, denn die Europa-Befürworter wollen nicht klein beigeben. EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und Gipfelchef Herman Van Rompuy richten zwar deutliche Worte an Moskau und kritisieren offen den Druck auf die Ukraine. Doch Diplomaten versuchen gleichzeitig, nicht noch Öl ins Feuer zu gießen.

„Wenn die Ukraine Ende der Woche nicht unterschreibt, ist das nicht das Ende der Geschichte“, meint einer von ihnen. Schon macht in Brüssel der Ausdruck vom „Après-Vilnius“ die Runde. Das heißt: Die Tür für das große Land mit über 45 Millionen Menschen bleibt offen. Das Abkommen könnte also zu einem späteren Zeitpunkt unterschrieben werden – einen Fahrplan gibt es dafür aber bisher nicht. Eine Bedingung nennt die Gemeinschaft der 28 bereits deutlich: Dreiergespräche mit Russland und der Ukraine wird es nicht geben. „Wir nehmen bei den Freihandelsgesprächen mit den USA auch nicht die Chinesen in die Verhandlungen“, resümiert ein Verantwortlicher.

Der am Donnerstag in der litauischen Hauptstadt Vilnius beginnende Gipfel sei ohne den Ukraine-Pakt nun sicherlich weniger „sexy“, räumt ein Beteiligter ein. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass mit Georgien und Moldawien Assoziierungs- und Freihandelsabkommen paraphiert werden sollen. Bis zum endgültigen Abschluss sind dann noch Hürden zu nehmen, unter anderem die Billigung in nationalen Parlamenten. Überraschungen in der letzten Minute werden bei diesen Partnern nicht erwartet.

Bei der 2009 ins Leben gerufenen Östlichen Partnerschaft mit sechs früheren Sowjetrepubliken hakt es an allen Ecken. Vor der Ukraine wandte sich schon die klamme Südkaukasusrepublik Armenien von Europa ab – sie will der von Kreml-Chef Wladimir Putin geplanten eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft folgen. Das autoritär regierte Weißrussland gilt seit Langem als ein äußerst schwieriger Fall. Die EU pocht unter anderem auf das Einhalten von Menschenrechten und die Freilassung von politischen Gefangenen.

Auch nach der Vollbremsung der Ukraine bei der EU-Annäherung will niemand in Brüssel offen von einer diplomatischen Schlappe sprechen. Doch Fragen bleiben: Pochte die EU bei der Ukraine zu deutlich auf die Freilassung der Oppositionsführerin Julia Timoschenko? Die ist am Montag in einen unbefristeten Hungerstreik getreten. Damit will sie erreichen, dass Präsident Viktor Janukowitsch das Abkommen mit der EU doch noch unterzeichnet. Hätte dem Land mehr Finanzhilfe angeboten werden müssen? Wurde der Machtkampf mit Moskau unterschätzt?

Die europäischen Regierungschefs, unter ihnen auch Kanzlerin Angela Merkel, erwarten beim Spitzentreffen Antworten von Janukowitsch, wie es weitergehen soll. Der allerdings machte am Dienstag erstmals in aller Deutlichkeit klar, dass er das Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der EU nicht unterschreiben werde. Sein Land sei für einen solchen Schritt wirtschaftlich noch nicht reif, sagte Janukowitsch im Interview mehreren Fernsehsendern. Die Ex-Sowjetrepublik könne einen solchen Vertrag erst unterschreiben, wenn sie selbst stark sei.