Torontos Stadtchef Rob Ford lügt und flucht sich immer mehr ins Abseits. Kanada ist schockiert und ratlos – wird ihn aber nicht los

Toronto. Er ist der Bürgermeister von Kanadas größter Stadt Toronto, er musste zugeben, dass er die Droge Crack geraucht hat – doch Rob Ford gibt sich keineswegs kleinlaut, sondern scheint zunehmend außer Kontrolle zu geraten: Während einer Sitzung des Stadtrates von Toronto beschimpft Rob Ford eine Gruppe von Bürgern auf den Zuschauerrängen, die ihm „Schande, Schande!“ entgegenrufen. Seinem Leibwächter gibt der Bürgermeister die Anweisung, die Rufer mit dem Handy zu filmen, und lächelt dabei hämisch wie ein Junge, der sich auf eine Rauferei auf dem Schulplatz freut. Dann spurtet der rundliche Bürgermeister erstaunlich behände durch den Tumult im Sitzungssaal und stößt in seiner Eile eine Großmutter zu Boden. Sie ist Mitglied des Stadtrates. Mit zunehmend gerötetem Gesicht verhöhnt Ford einen der Stadträte mit eindeutigen Gesten und kümmert sich keinen Deut um die Saalordnung.

Als ihm der Stadtrat am Ende der Sitzung wichtige Befugnisse entzieht und an den Vize-Bürgermeister übergibt, um die viertgrößte Stadt in Nordamerika wieder regierbar zu machen, setzt Rob Ford zu einer Tirade an. „Nun, Leute, wenn ihr denkt, Politik im amerikanischen Stil sei fies, habt ihr gerade Kuwait angegriffen“, ruft er in den Saal, nachdem er die Konfrontation im Stadtrat mit dem Angriff Saddam Husseins auf Kuwait verglichen hat.

Viele Kanadier sind sprachlos, was ihnen da im Fernsehen gezeigt wurde. Noch nie haben sie im eigenen Land erlebt, dass ein Politiker öffentlich zugibt, Crack geraucht und als Bürgermeister illegale Drogen gekauft zu haben. Ford gestand auch, alkoholisiert sein Auto gesteuert zu haben, will aber trotzdem nicht zurücktreten. Am Abend zuvor hatte der hemdsärmlige Politiker gegenüber dem US-Fernsehsender CNN erklärt, er wolle Premierminister Kanadas werden. Während des TV-Interviews gebrauchte Ford im Beisein von Kindern eine vulgäre Sprache, entschuldigte sich hinterher amüsiert dafür und behauptete: „Ich bin der beste Vater, den es gibt.“ Es scheint kein Tabu zu geben, dass Ford nicht zu brechen gewillt ist – oder schon gebrochen hat.

Vor laufenden Kameras sprach er vergangene Woche obszöne Worte über Oralverkehr – ein Tabu in Kanada –, als er abstritt, eine seiner Mitarbeiterinnen verbal sexuell belästigt zu haben. Einen Tag später entschuldigte sich Ford öffentlich, neben ihm, zierlich und stumm, seine blonde Frau Renata, Mutter seiner zwei kleinen Kinder, der die Verlegenheit ins Gesicht geschrieben stand. Ford machte Stress für seinen Fauxpas verantwortlich. „Die gestrigen Enthüllungen bezüglich Kokain, Callgirls und Prostitution haben mich an den Rand gebracht“, erklärte er.

Ford war wütend, weil ehemalige enge Mitarbeiter gegenüber der Polizei über ihren Ex-Boss ausgepackt hatten: Ford habe Angestellte mit dem Einkauf von Alkohol beauftragt, sei berauscht auf offiziellen Anlässen erschienen, habe Frauen in seinem Büro gehabt, wahrscheinlich Prostituierte, habe mit Sex geprahlt. Ein Kellner sagte der Polizei, in einem Luxusrestaurant habe Ford Kokain geschnupft. Der Bürgermeister bestreitet alles vehement und will den Kellner und die Mitarbeiter verklagen.

Kurz zuvor war ein Handy-Video aufgetaucht, auf dem ein betrunkener Ford wie ein wildgewordener Sumo-Ringer umherstampft und Morddrohungen gegen eine unbekannte Person ausstößt: „Ich werde seine verdammte Kehle zerfetzen.“ Auch dafür musste er sich entschuldigen. Trotzdem wiederholt Ford ein ums andere Mal: „Ich bin nicht alkoholsüchtig, ich bin nicht drogensüchtig.“ Sein einziges Problem sei das Übergewicht. Das hatte schon Mutter Ford zu seiner Verteidigung vorgebracht. Im kanadischen Fernsehen CBC drückte Rob Ford auf die Tränendrüse: „Ich bin nur ein Mensch, ich machte einen Fehler.“

Aber in Toronto distanzieren sich immer mehr Institutionen von ihm, von der Handelskammer bis zum Football-Club. Fords loyale Anhänger bleiben jene kleinen Leute in Torontos Vorstädten, die er mit seinen Angriffen gegen die „liberale Elite“ und die „reichen Leute in der City“ gewann. Diese Leute sind offenbar bereit, Ford alle Fehltritte zu verzeihen. Auch dass er im Freien an Bäume pinkelte oder häufig mit einem angeklagten Drogenhändler herumhing und verdächtige Tüten austauschte, wie die Polizei beobachtete.

In der Vorstadt Etobicoke, wo Ford als Sohn eines Druckereibesitzers aufwuchs, gelten andere Gesetze als in Torontos eleganten Stadtvierteln. In den Vorstädten, die 1998 trotz Protesten in die Großstadt eingegliedert wurden, ist ein Politiker wie Ford, der seine Wähler abends persönlich anruft und Steuersenkungen verspricht, ein Held. Ihnen ist egal, dass Ford angeblich rassistische Äußerungen macht. Wenn der von Haus aus wohlhabende Ford sagt: „Es gibt zwei Arten von Leuten: Arme Leute und reiche Leute, und ich bin auf der Seite der armen Leute“, dann glauben sie ihm. Die Grillfeste für Hunderte Nachbarn in Fords Garten sind legendär.

Warnzeichen, dass in der Familie Ford nicht alles heil war, gab es offenbar schon früh. Im Jahr 2008 hatte seine Frau Renata die Polizei wegen eines häuslichen Konflikts zu Hilfe gerufen. Rob Ford wurde in Handschellen abgeführt, aber die Klage wurde später zurückgezogen.

Rob Fords Bemühungen, Football-Profi zu werden, scheiterten, und auch sein Politologie-Studium brach er ab. Als parteiloser, rechtskonservativer Stadtrat wurde er vor allem als Gegner von Fahrradwegen bekannt und weil er Radfahrer verantwortlich für tödliche Unfälle machte. Vor 14 Jahren wurde Ford in Florida wegen Haschischbesitzes und Trunkenheit am Steuer verhaftet und mit 50 Stunden Sozialdienst bestraft. Aber auch diesen Vorfall gab der Politiker später erst nach langem Leugnen zu.

Im vergangenen Mai tauchte ein Handy-Video auf, das Ford angeblich beim Crack-Rauchen zeigte. Journalisten des US-Internetklatschportals Gawker und der Zeitung „Toronto Star“ berichteten, ein Drogenhändler habe ihnen den Videofilm gezeigt und für 300.000 Dollar zum Kauf angeboten. Aber der Film verschwand plötzlich, bis ihn die Polizei während Ermittlungen gegen eine Drogenbande in einer Computerdatei wiederfand. Rob Ford gab nun zu, dass er Crack geraucht habe. Gelogen habe er aber nicht, betonte er: „Die Medien haben mir einfach nicht die richtigen Fragen gestellt.“

Toronto fühlt sich lächerlich gemacht. Die 2,6-Millionen-Metropole ist dank Rob Ford negativ in die Schlagzeilen geraten. Nun herrscht Ratlosigkeit, wie man einen außer Rand und Band geratenen Bürgermeister stoppen soll. Es gibt kein Verfahren in Toronto, einen Bürgermeister seines Amtes zu entheben, außer er wird für ein Verbrechen rechtskräftig verurteilt. Ford bleibt formal im Amt, selbst wenn ihm der Stadtrat alle Befugnisse wegnimmt. Er will bis zu den Wahlen im Oktober 2014 ausharren – und dann wieder gewinnen.