Michelle Bachelet und Evelyn Matthei wollen Präsidentin werden

Santiago de Chile. Es geht um die Macht, und es geht zugleich um zutiefst Menschliches: Der Präsidentschaftswahlkampf in Chile ist auch eine Auseinandersetzung von zwei Frauen, die vieles trennt und zugleich manches vereint. Es sind zwei Frauen, die zusammen im Sandkasten spielten, deren Väter Generäle waren und in den Zeiten der Diktatur auf verschiedene Seiten gerieten: Alberto Bachelet, Anhänger des 1973 vom Militär gestürzten sozialistischen Staatspräsidenten Salvador Allende, starb an den Folgen von Folter in einem Gefängnis, das unter dem Oberbefehl des anderen stand: Fernando Matthei Aubel, der zu den Putschisten um Diktator Augusto Pinochet gehörte. Am Sonntag treten zwei Töchter der Generäle gegeneinander um das höchste Staatsamt an. Michelle Bachelet, 62, die Sozialistin mit DDR-Vergangenheit, und Evelyn Matthei, 60, die Kandidatin der Konservativen.

Zwei Frauen, zwei Geschichten, zwei politische Lager. Der Menschenrechtsanwalt Sebastian Zalaquett, Funktionär von Amnesty International während der Militärdiktatur, sieht in der menschlichen Dimension der Wahl allerdings nur einen Nebenaspekt. „Hier geht es eher darum, dass ein mittelinks orientiertes Land von einem rechten Präsidenten regiert wird, der hochgradig unpopulär ist.“

Tatsächlich herrscht offenbar wieder Wechselstimmung in Chile. Die schwere Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe vom Februar 2010 hat dem konservativen Amtsinhaber und Milliardär Sebastian Piñera die Bilanz verdorben, bevor er überhaupt angetreten war. Den nationalen Notstand ist die Regierung zwar intensiv angegangen, doch Piñera ist kein guter Verkäufer in eigener Sache – und den Betroffenen geht der Wiederaufbau ihrer Häuser und die Beseitigung der Schäden an Straßen und Häfen zu schleppend voran. Es gibt einen Haufen Wahlversprechen, auch von den sieben anderen Kandidaten. Sie hätten ohnehin nichts zu gewinnen und könnten daher das Blaue vom Himmel versprechen können, sagt der Publizist und Jesuit Antonio Delfau.

Ein wichtiger Wahlprüfstein wird das Thema Bildung sein. Seit Monaten protestieren Schüler und Studenten gegen das privatisierte Hochschulsystem Chiles, das die Absolventen mit einem Schuldenberg auf den Arbeitsmarkt entlässt. Die Regierung Piñera hat zwar Erleichterungen durchgesetzt, das System aber nicht angetastet.

Mit der „7“, der schulischen Bestnote in Chile, plakatiert die konservative Kandidatin Matthei. Herausforderin Bachelet sagt kostenfreie Hochschulbildung zu. Grundlegende Reformen müssen chilenische Präsidenten sehr schnell einleiten. Die Verfassung lässt dem Präsidenten nur vier Jahre Amtszeit, eine Verlängerung ist nicht möglich.

Die scheidende Regierung gibt sich staatsmännisch. Staatsminister Cristian Larroulet sagt, die Demokratie in Chile sei sehr stabil. Es werde Veränderungen geben, aber keine grundlegenden Umwälzungen; es brauche eine Kultur des Kompromisses. „Chile hat seine Lektion gelernt. Ein geteiltes Land ist schwach.“ Und politische Beobachter in der Hauptstadt Santiago sind überzeugt, dass am Neoliberalismus in der Schweiz Lateinamerikas auch unter einer zweiten Regierung Bachelet nicht gerüttelt werden wird.