Israels Regierungschef pfeift seinen Bauminister zurück, weil die Projekte die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern gefährden

Tel Aviv. Keine Verschnaufpause für Benjamin Netanjahu: Die Beziehungen zu den USA sind ohnehin schon belastet vom Streit über die Irangespräche, nun musste Israels Regierungschef auch noch wegen heftiger Proteste gegen neue Siedlungsprojekte im besetzten Westjordanland in die Knie gehen. In einem seltenen Schritt pfiff er seinen ultrarechten Bauminister Uri Ariel zurück, nachdem Palästinenser und die US-Regierung empört auf neue Pläne zum Bau Tausender Wohnungen im Westjordanland und Ost-Jerusalem reagiert hatten.

Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat bekräftigte am Mittwoch Warnungen vor einem „offiziellen Ende der Friedensverhandlungen“, sollten die israelischen Pläne dennoch umgesetzt werden. Unter anderem erwäge man einen Gang zum Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Netanjahu hatte zuvor eine „Überprüfung“ der Baupläne angekündigt. Israelische Medien hatten vom geplanten Bau von rund 20.000 Wohnungen im Westjordanland berichtet. Netanjahus Büro betonte, die Pläne seien vom Bauministerium ohne Wissen des Regierungschefs veröffentlicht worden. Bei allen veröffentlichten Plänen handele es sich nur um potenzielle Baupläne und nicht um Projekte in aktuellen Planungsphasen.

Ungewöhnlich deutlich rügte Netanjahu seinen politischen Weggefährten Uri Ariel: Er habe „unnötige Konflikte mit der internationalen Gemeinschaft“ riskiert. „Ariel verhält sich wie ein Brandstifter“, zitierte die israelische Zeitung „Jediot Achronot“ am Mittwoch einen Vertrauen Netanjahus. „Während wir auf der ganzen Welt Bemühungen unternehmen, um einen schlechten Handel mit dem Iran zu verhindern, benimmt Ariel sich verantwortungs- und gedankenlos.“

Wissenschaftsminister Jaakov Peri von der liberalen Zukunftspartei warnte am Mittwoch, Öl ins Feuer des Siedlungskonflikts zu gießen: „Wir durchleben gerade höchst sensible Tage. Eine Ankündigung wie die von Minister Ariel kann die sowieso bereits schwierigen Friedensverhandlungen sabotieren.“ Und Strategieminister Juval Steinitz von Netanjahus Likud-Partei forderte, bei der Besiedlung jenseits der Grenzen von 1967 müsse „auf intelligente und abgesprochene Weise vorgegangen werden“.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte die Entscheidung Netanjahus: „Gerade jetzt muss alles unterlassen werden, was die Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern erschwert“, erklärte er bei einem Besuch in Abu Dhabi.

Wie zum Hohn erschienen die Berichte über die neuen Baupläne nur wenige Stunden nachdem der wiederernannte Außenminister Avigdor Lieberman angekündigt hatte, man wolle sich nunmehr bemühen, im Streit mit den USA die Wogen zu glätten. Netanjahu hatte US-Außenminister John Kerry in den vergangenen Tagen bereits mit deutlicher Kritik an dessen Verhandlungsführung im Atomstreit mit Teheran verärgert.

Nun will Israel einlenken. Selbst Lieberman gab zu, dass Israel ohne Unterstützung der USA „nicht in der Lage wäre, auf der internationalen Bühne zu agieren“. Auch für Kerry steht viel auf dem Spiel: Er bürgt mit seinem Namen für die im Juli aufgenommenen Friedensgespräche in Nahost, die von immer neuen Siedlungsprojekten und auch neuer Gewalt gefährdet werden. Am Morgen nach den Berichten über neue Siedlungsprojekte stach in einem Bus im Norden Israels ein jugendlicher Palästinenser immer wieder auf einen israelischen Soldaten ein. Das 18-jährige Opfer starb kurz darauf in einem Krankenhaus.

Es ist der vierte Israeli, der seit Beginn der Verhandlungen vor dreieinhalb Monaten getötet wurde, auf der palästinensischen Seite starben zwölf Menschen. Bei seiner jüngsten Vermittlungsmission in der Region warnte Kerry vor einem neuen Palästinenseraufstand, sollten die Friedensgespräche scheitern. Der fortwährende Siedlungsausbau könne bei den Palästinensern den Eindruck erwecken, „dass sie (die Israelis) es vielleicht nicht wirklich ernst meinen“.

Ein Sprecher der israelischen Friedensorganisation Peace Now erklärte, es handele sich bei dem gestoppten Bauvorhaben um Ausschreibungen in einer „sehr frühen Planungsphase“. Auch im Falle einer Genehmigung würde es bis zu einem Baubeginn viele Jahre dauern, betonte Lior Amihai. Das Ungewöhnliche sei die „außergewöhnlich hohe Zahl“ der geplanten Wohnungen, insgesamt 23.786 Einheiten. Die 23 Siedlungsprojekte liegen in oder in der Nähe von bestehenden israelischen Siedlungen südlich von Bethlehem und nahe der Großsiedlung Maale Adumim östlich von Jerusalem.

Amihai sieht Netanjahus Kehrtwende als „sehr großen Erfolg“. Zur Erklärung des Regierungschefs, der Bauminister habe eigenmächtig gehandelt, sagte der Peace-Now-Sprecher, er glaube dies nur zum Teil. „Ariel hat es sicher auf eigene Faust vorangetrieben, aber an irgendeinem Punkt war Netanjahu sicher eingeweiht.“ Dass der ultrarechte Politiker Urie Ariel für das Bauwesen zuständig sei, sei ohnehin so, „als ob man die Katze die Milch bewachen lässt“.