Mit Bill de Blasio stellen die Demokraten erstmals seit 20 Jahren wieder den Bürgermeister

New York. Um 21 Uhr US-Ostküstenzeit wurden die Wahllokale in New York geschlossen. Schon davor waren erste Hochrechnungen eingetrudelt. So bestätigte sich, was sich abgezeichnet hatte: Der neue Bürgermeister der Stadt New York heißt Bill de Blasio, ein Demokrat. Der erste seit 1993.

Er schlug seinen Herausforderer, den Republikaner Joe Lhota, haushoch, und zwar nicht nur quer durch alle ethnischen Gruppierungen, aus denen sich diese buntscheckige Stadt zusammensetzt: Weiße, Latinos, Schwarze. Fast drei Viertel der New Yorker stimmten für ihn. Dieser Wahlsieg ist nicht nur bemerkenswert, weil zwei Jahrzehnte enden, in denen New York von Republikanern regiert wurde; erst Rudy Giuliani, dann Michael Bloomberg, der 2007 aus seiner Partei austrat. Es ist außerdem eine kleine Sensation, weil man de Blasio gewiss kein Unrecht tut, wenn man ihn als Sozialisten bezeichnet.

Seinen Wahlkampf bestritt der 52-Jährige, indem er vor jeder Versammlung wiederholte, New York habe sich in zwei Städte verwandelt – eine für Arme, eine für Reiche. Außerdem polemisierte er gegen die Polizeitaktik des „Anhaltens und Durchsuchens“ („stop and frisk“), die vor allem junge hispanische und schwarze Männer betraf. Michael Bloomberg meinte, jene Polizeitaktik habe geholfen, Leben zu retten, vor allem von Schwarzen und Latinos; eine Bundesrichterin aber befand, „stop and frisk“ verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz der US-Verfassung.

Was folgt dem Wahlsieg? Schon von der äußeren Erscheinung her ist de Blasio ein deutlicher Gegensatz zu dem schmächtigen, kleinen, feingliedrigen Michael Bloomberg, der im Nadelstreif auf die Welt gekommen zu sein scheint. De Blasio ist groß, ein bisschen untersetzt und fühlt sich in Jeans wohler als im Anzug – ein Kumpeltyp.

Er wohnt nicht in Manhattan, sondern in Brooklyn, in einem normalen dreistöckigen Haus in Park Slope. Seine Familie hat im Wahlkampf eine große Rolle gespielt: seine schwarze Frau Chirlane, die er als politische Aktivistin kennenlernte, sein Sohn Dante, der stolz eine Afrokrause zur Schau stellt, seine Tochter Chiara. Keinen Hehl macht er daraus, dass er schon immer zur politischen Linken gehört hat. 1988 fuhr er nach Nicaragua, um die Revolution zu unterstützen, und er kann noch immer aus dem Stegreif Vorträge über Gustavo Gutiérrez und Ernesto Cardenal halten. Allerdings ist Bill de Blasio kein Marxist; sein Sozialismus ist auf amerikanischem Boden gewachsen: „Meine Weltanschauung besteht zu einem Drittel aus Franklin Roosevelt – dem New Deal –, zu einem Drittel aus europäischer Sozialdemokratie und zu einem Drittel aus Befreiungstheologie.“

Er hat versprochen, dass er den sozialen Wohnungsbau fördern will; er will Stellenausschreibungen dafür benutzen, um Firmen zu fördern, die von Frauen und Angehörigen von Minderheiten geführt werden. Außerdem will er jene New Yorker stärker besteuern, die mehr als 500.000 Dollar pro Jahr verdienen, und das Geld in die Erziehung – vor allem von Vorschulkindern – zu stecken. Gemeint sind natürlich nur die Stadtsteuern, nicht die Steuern des Staates New York, schon gar nicht die Bundessteuern, über die de Blasio und sein Rathaus keine Kontrolle haben.

Schon jetzt wird spekuliert, wen er zum neuen Polizeipräsidenten ernennen wird – als Nachfolger von Raymond Kelly, der seit 2002 im Amt ist. Viele Beobachter meinen: Die Hautfarbe des nächsten New Yorker Polizeipräsidenten wird schwarz sein, damit die Minderheiten das Vertrauen in die Polizeikräfte zurückgewinnen.

Bill de Blasio ist also ein Mann mit einem klaren politischen Programm – oder, wenn man weniger freundlich sein will, ein Ideologe, ein linker Populist. Sein politisches Handwerk hat er allerdings bei Pragmatikern gelernt: bei Hillary Clinton und Andrew Cuomo. Letzterer ist mittlerweile Gouverneur des Staates New York. De Blasio wird eng mit ihm zusammenarbeiten.

Er hat bewiesen, dass er zumindest in Nebenfragen ausgesprochen taktisch vorgehen kann: Als der Wahlkampf begann, wurden unerwartet die Droschken im Central Park zu einem wichtigen Thema. Ist es nicht die pure Tierquälerei, was den armen Ponys da zugemutet wird? Bill de Blasio versprach, er werde sich der Sache gleich als Erstes annehmen, wenn er ins Amt komme. Aber nachdem, unter anderem, auch die Gewerkschaft der Droschkenkutscher seine Kandidatur unterstützt hatte, sprach er nicht mehr viel von den Ponys.

Der Sozialist hat sich auch mit reichen Leuten von der Wall Street und Immobilienspekulanten getroffen. Seine wichtigste Botschaft: Ich lasse mit mir reden. Nicht wenige seiner linken Unterstützer fürchten darum, dass sie auf diesen Genossen im Rathaus nicht werden bauen können.

Wie kam es zu diesem Ergebnis? Im Grunde handelte es sich nicht um eine Wahl, sondern um eine Abstimmung über die Ära Bloomberg, eine Ära, die drei Amtsperioden gedauert hat. Die Mehrheit der New Yorker hat offenbar befunden, dass es jetzt reicht: Sie wollen nicht mehr von einem aufgeklärten Fürsten aus der Geldaristokratie regiert werden, der dem Volk gewiss schöne Geschenke gemacht hat, sie wollen endlich wieder eine richtige Demokratie.

Dieser nachträgliche Aufstand gegen Bloomberg geht quer durch alle Bevölkerungsschichten; es ist eine Revolte der Basis der Demokratischen Partei gegen „die da oben“. In vier Jahren werden wir sehen, ob den Wählern ihr Aufstand per Stimmzettel dann leidtut.