Islamisten küren einen Tag nach US-Drohnenangriff neuen Oberkommandierenden

Islamabad/Singapur. Nur einen Tag lang waren die radikalislamischen pakistanischen Taliban führerlos. Kaum hatte eine US-Drohne in Nord-Waziristan ihren Chef Hakimullah Mehsud getötet, sammelten sich die Kommandeure der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP), um einen Nachfolger zu bestimmen. Khan Said „Sajna“ Mehsud soll es sein, 43 von 60 der bei einem geheimen Treffen in den Stammesgebieten anwesenden Feldkommandeure hätten für den 36-Jährigen gestimmt, heißt es.

Khan Said alias „Sajna“ stammt aus der Region Shobikhel in Süd-Waziristan. Bisher hatte er die dortige Untergruppe geführt. Nach dem Tod von Kommandeur Waliur Rehman, ebenfalls durch eine Drohne im vergangenen Mai, war er zur Nummer zwei in der Organisation aufgerückt. Er ist ein Krieger, hat nie eine Schule besucht. Aufgestiegen ist er innerhalb der TTP durch seine Furchtlosigkeit auf den Schlachtfeldern in Afghanistan – und weil er ein enger Freund von Baitullah Mehsud war, dem ruchlosen ersten Anführer der pakistanischen Taliban, der vor viereinhalb Jahren ebenfalls von einer amerikanischen Rakete getötet worden war. „Sajna“ ist ebenso wenig mit ihm verwandt wie Hakimullah. Die pakistanischen Taliban werden seit ihrer Gründung 2007 traditionell von Angehörigen des Mehsud-Clans aus Süd-Waziristan geführt.

Der neue Taliban-Chef war an grausamen Anschlägen in Pakistan beteiligt wie dem Angriff auf eine Marinebasis in Karatschi vor zwei Jahren, bei dem 14 Menschen starben, oder dem Sturm auf ein Gefängnis in der nordwestpakistanischen Stadt Bannu im April 2012, bei dem 400 inhaftierte Talibankrieger befreit wurden. Doch „Sajna“ wird anders als Hakimullah nachgesagt, dass er an Verhandlungslösungen interessiert sei.

Die pakistanischen Taliban schworen dennoch „nie da gewesene Vergeltung“ für den Mord an ihrem Anführer. „Jeder Tropfen Blut Hakimullahs wird einen Selbstmordattentäter hervorbringen“, sagte ihr Sprecher Azam Tariq. Er machte neben den USA die pakistanische Regierung mitverantwortlich für den Tod Hakimullahs. Islamabad sei „Komplize“ der Mörder gewesen. Solch präzise Drohnenangriffe sind Experten zufolge auch nur möglich, wenn es ebenso präzise Geheimdienstinformationen über den Aufenthaltsort des Opfers gibt. Insofern liegt der Verdacht nahe, dass Pakistans Geheimdienst ISI am Mord an Hakimullah nicht unbeteiligt war. Dabei wehrt sich die pakistanische Führung vehement gegen den US-Drohnenkrieg auf ihrem Territorium. Premierminister Nawaz Sharif hat das gerade in Washington wieder deutlich gemacht. Die amerikanischen Drohnenangriffe sind in Pakistan extrem unpopulär, weil immer wieder Unbeteiligte bei den ferngesteuerten Raketenangriffen getötet werden.

Der Zeitpunkt des Einsatzes gegen Hakimullah war heikel. Gerade bereitete eine dreiköpfige Regierungsdelegation die ersten Friedensverhandlungen mit der TTP vor. Pakistan will sein Terrorproblem durch Einbindung der Taliban in den Griff bekommen und hat dabei den für nächstes Jahr geplanten Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan im Blick.

Dieser diplomatische Vorstoß sei nun durch die tödlichen Raketen auf Hakimullah Mehsud vertan, fürchtet Islamabad. „Dieser Angriff ist der Versuch, Pakistans Friedensverhandlungen mit den Taliban zu sabotieren“, tobte Innenminister Chaudhry Nisar, die Drohne sei „eine Mörderin des Friedens“. Die Bindungen zu den USA müssten überdacht werden, die Regierung wolle weiter mit den Taliban verhandeln, fügte der Minister hinzu und weiß sich damit im Einklang mit den meisten pakistanischen Bürgern. „Hakimullah war einer unserer muslimischen Brüder. Er hätte nicht getötet werden dürfen, erst recht nicht jetzt, da die Regierung und die Taliban verhandeln wollen.“

Der Führungswechsel bei den Taliban erfolgte nicht reibungsfrei. „Es gibt einige Kandidaten für den Führungsjob, aber Sajna ist wegen seiner Stammesherkunft und seiner Nähe zu Hakimullah der aussichtsreichste“, sagt der Journalist Safdar Dawar aus Nord-Waziristan. Die internen Brüche seien erkennbar gewesen, weil die Taliban in Pakistan in mehr als 20 Untergruppen operierten, von denen jede die Führung der Organisation beanspruche. Es werde dennoch erwartet, dass die Führung beim Mehsud-Clan bleibe.

Washington hatte wiederholt gefordert, Pakistan möge militärisch gegen die „sicheren Häfen“ für die Taliban entlang des pakistanisch-afghanischen Grenzgebiets vorgehen. Einige Gebiete wurden von der pakistanischen Armee eingenommen, doch Nord-Waziristan bislang nicht. Um dem doppelten Spiel der pakistanischen Armee zu begegnen, offiziell die USA aber im Geheimen die afghanischen Taliban zu unterstützen, greifen die US-Streitkräfte auf Drohnenattacken zurück.

Ex-Cricketstar Imran Khan, dessen Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) die Khyber-Provinz im Grenzgebiet regiert, verurteilte ebenfalls den Drohnenschlag und drohte, die Nato-Nachschubroute für Afghanistan zu sperren, die durch die Provinz läuft. Auf einem Parteikongress in Lahore sagte er: „Ich selbst werde am Montag das Nationalparlament ersuchen, den Nachschub für die Nato zu stoppen.“