Die Partei von Andrej Babis erhält bei Wahl fast 20 Prozent. Regieren will er lieber nicht

Prag. Am späten Abend des Tages, an dem er die Machtverhältnisse im tschechischen Parlament durcheinandergewirbelt hat, will Andrej Babis nur noch weg aus Prag. Er besteigt mit seiner Familie einen Privatflieger Richtung Côte d’Azur. Er besitzt dort ein Haus und ein Restaurant. Mindestens zwei Tage Ausspannen ist dort angesagt. Der Wahlkampf hat den 59 Jahre alten mehrfachen Milliardär und auch in Deutschland erfolgreichen Unternehmer und Zeitungsmagnaten geschlaucht: Babis hat aus dem Stand mit seiner „Bewegung der unzufriedenen Bürger“ (ANO) fast 20 Prozentpunkte bei den vorgezogenen Wahlen zum Abgeordnetenhaus eingeheimst. Die Sozialdemokraten (CSSD), über Monate haushoher Favorit, kommen nur knapp vor ihm ins Ziel.

Babis sieht sich plötzlich Fragen ausgesetzt, auf die er offenbar nicht gefasst ist. „Werden Sie in die Regierung eintreten?“, „Mit wem könnten Sie koalieren?“ Der Milliardär wehrt ab: „Wir sind eine völlig neue Bewegung, wir gehören nicht in eine Regierung. Wir wollen unsere Ziele im Parlament durchsetzen, wir brauchen entsprechende Gesetze, damit das Land endlich in Ordnung gebracht wird“, sagt er. „Aber wie bitte wollen Sie das machen, wenn Sie nicht in die Regierung wollen“, fragen die Journalisten zurück. Babis schweigt, überlegt, äußert sich schwammig.

Als er in die Fernsehdebatte mit den anderen Chefs der künftigen Parlamentsparteien kommt, ist er ein bisschen klüger. Seine Mitstreiter haben ihm deutlich gemacht, dass sie eine große Verantwortung vom Wähler erhalten haben und nicht nur Nein sagen können. Babis schwächt sein anfängliches Nein zur Machtbeteiligung ab: „Wir wollen nichts blockieren. Also werden wir reden, wenn man uns anspricht.“

Mit jedem aber will er nicht reden. Die bürgerlichen Parteien ODS und TOP 09 von Karel Schwarzenberg schließt er „wegen deren Korruptheit“ ebenso aus wie die Kommunisten (KSCM). Mit den Sozialdemokraten dürfte es aber auch schwierig werden, wollten die doch die Steuern erhöhen. „Wir dagegen wollen die Steuern senken“, betont Babis. Und als der Moderator fragt, wer dann als Partner bleibe, legt Babis die Stirn in Falten und meint: „Vielleicht hat ja der Präsident eine Idee für die Regierung.“

Der nominelle Wahlsieger Bohuslav Sobotka von den Sozialdemokraten hat einen „ganz bitteren“ Sieg eingefahren, wie er eingesteht. Zehn Prozent ist die Partei hinter den Erwartungen geblieben. Einige einer Mitgenossen fordern halblaut seinen Kopf. Vor allem die, die schon das Linksbündnis vor sich sahen: eine CSSD-Minderheitsregierung, toleriert von den Kommunisten. Ein Tabubruch wäre das für Tschechien gewesen, kein Vierteljahrhundert seit der Samtrevolution von 1989. Doch dafür reicht es am Wahlabend nicht einmal annähernd, was nicht an den tiefroten Nachfolgern der einstigen Staatspartei liegt, sondern am Einbruch der CSSD. Sobotka versucht das alles tapfer wegzulächeln: „Wir werden rasch mit allen über eine Regierung reden. Nur nicht mit der ODS und der TOP 09“, schränkt er ein. Sein Gegenüber in der Runde, der Chef der Christdemokraten, klinkt sich gleich mal selbst aus: „Wenn die Sozialdemokraten das Schlüsselgesetz über die Rückgabe des Kircheneigentums infrage stellen, gibt es mit uns kein Bündnis.“

Das macht die Regierungsbildung für Sobotka nicht leichter. Als denkbare Partner bleiben ihm nur Babis und die zweite unpolitische Truppe Usvit des Tschechojapaners Tomio Okamura. Letzterer erklärt sich zu allem bereit, wenn seiner Gruppierung der Herzenswunsch erfüllt wird: ein Umbau der politischen Entscheidungsfindung hin zu Volksabstimmungen. „Nein, über die Todesstrafe nicht“, beteuert er. Okamura würde aber liebend gern die Roma-Minderheit aus dem Land treiben, am besten auch per Referendum.

Nur einmal in der TV-Debatte kommt so etwas wie Einigkeit auf. Als der Moderator fragt, ob man sich vielleicht schon bald auf Neuwahlen einzustellen habe, widersprechen die Parteichefs. „Das Land braucht eine Regierung. Das Übergangskabinett kann nicht ewig regieren.“ Gemeint ist die Regierung, die Präsident Milos Zeman installiert hat, voll mit persönlichen Freunden. Zeman rechnet damit, dass die Regierungsbildung bis zu zwei Monate dauern könnte. Am Sonntag vermeidet er eine Aussage, ob er den Sozialdemokraten Sobotka mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Er selbst, so Zeman, werde erst aktiv werden, nachdem sich in etwa einem Monat das neue Abgeordnetenhaus zusammengefunden habe.

Tschechische Politologen sprechen von einer „Protestwahl“. „Tschechien steckt in einer tiefen Parteienkrise. Die Leute haben verzweifelt nach einem Ausweg gesucht und den in den neuen Gruppierungen gefunden“, heißt es immer wieder. Wie politikverdrossen die Tschechen sind, lässt sich auch an der Wahlbeteiligung von nicht einmal 60 Prozent ablesen.