Fünf Monate nach dem abrupten Sturz der Mitte-rechts-Regierung wählen Tschechen ein neues Parlament. Alles deutet auf einen Linksruck hin

Prag. Der Prager Erzbischof Dominik Duka ist besorgt über die Entwicklung in seinem Land. Der katholische Würdenträger und frühere Dissident warnt vor einer Stärkung der Kommunisten. „Freiheit ist das größte Geschenk, das wir uns nicht nehmen lassen und auch nicht verspielen sollten“, erklärt er am Mittwoch nach einem Besuch am Grab des Ex-Präsidenten Vaclav Havel. Der Bürgerrechtler Havel war die Schlüsselfigur der Samtrevolution des Jahres 1989 gegen die kommunistischen Machthaber.

Nachdem der Kardinal vor einer „Rückkehr unter rote Fahnen mit Hammer und Sichel“ gewarnt hat, beendete der tschechische Rundfunk ein Interview mit Duka am Dienstagabend vorzeitig. Nach Angaben des Senders habe Duka gegen Vorschriften verstoßen, die der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Unparteilichkeit vorschreiben. „Ich bedanke mich für die zensierte Ausstrahlung“, meint der Erzbischof zum Schluss.

Inmitten der durch die Hauptstadt fließenden Moldau prangt neuerdings eine violette Faust mit ausgestrecktem Mittelfinger, der direkt auf die Prager Burg weist. Dort residiert Präsident Milos Zeman, dessen politische Haltung vor den Parlamentswahlen dem für seine provokanten Werke bekannten Künstler David Cerny wütend macht. Wie der Erzbischof fürchtet er eine Rückkehr der Kommunisten an die Macht. Und ihre Ängste kommen nicht von ungefähr.

Denn knapp 24 Jahre nach der demokratischen Wende stehen die Kommunisten in Tschechien kurz davor, wieder direkt Einfluss auf die Regierungsarbeit zu nehmen. Dabei hat sich die Partei mit dem roten Stern im Logo nie von ihrer Vergangenheit losgesagt. „In vieler Hinsicht ging es vor 1989 gerechter zu als heute“, sagte jüngst Parteichef Vojtech Filip. Spitzfindig merkt Filip zudem an, in Tschechien habe es nie einen Kommunismus gegeben, sondern nur einen Sozialismus. Er fordert weiter den Austritt aus der Nato. „Weil sich die Kommunisten in den letzten 24 Jahren die Hände nicht in der Regierung schmutzig gemacht haben, sind sie heute auch eine Protestpartei“, sagte der Politologe Jiri Pehe.

Die 8,4 Millionen Wähler in Tschechien bestimmen am 25. und 26. Oktober ein neues Abgeordnetenhaus. Ein Sieg der Sozialdemokraten (CSSD) gilt nach Umfragen als sichere Sache. „Unser Projekt ist eine einfarbige Regierung“, kündigte Parteichef Bohuslav Sobotka an. Sobotka braucht einen Mehrheitsbeschaffer und da kommen ihm die Kommunisten ganz gelegen, die aber Gegenleistungen erwarten. Eine Wahlprognose des tschechischen Fernsehens CT sieht die Sozialdemokraten (CSSD) bei 28,5 Prozent, gefolgt von den Kommunisten mit 12,5 Prozent.

Die linken Parteien versprechen den Wählern, die wirtschaftlichen Probleme vieler Menschen in Tschechien zu lösen. Die soziale Krise trifft vor allem den industriellen Osten hart. Wie eine Insel der Seligen wirkt da die konservative Hochburg Prag, die den Lebensstandard in die Höhe zieht.

In einem Prager Szeneviertel hat Dominika mit Freunden nach dem Studium ein schickes Café eröffnet, das täglich italienischen Espresso und frischen Kuchen serviert. „Wer nicht wählen geht, schenkt seine Stimme den Kommunisten“, hätten ihre Eltern ihr jahrelang eingeschärft, sagt die Jungunternehmerin. Die 25-Jährige erhofft sich von der Wahl vor allem notwendige Reformen und ein Ende des Stillstands. Die Kampagne der bürgerlichen Partei TOP09 findet die Kaffeehaus-Betreiberin zwar cool, ganz entschlossen hat sie sich aber noch nicht. Im Fernsehen rast TOP09-Chef Karel Schwarzenberg als „Agent 009“ im Stil von James-Bond-Filmen durch die Straßen, um, so wörtlich, die Republik zu retten. Gefahr droht nach Meinung des Fürsten vom linken Präsidenten. Schwarzenberg warnt wiederholt: „Wir sind auf dem Weg zu einem autoritären Regime.“

Präsident Milos Zeman hat sich vor der Wahl öffentlich für ein rot-rotes Tolerierungsbündnis ausgesprochen. Der Präsident vergibt den Regierungsauftrag, könnte aber Sozialdemokraten-Chef Sobotka übergehen. Zeman kann den 42-Jährigen sichtlich nicht ausstehen. Sobotka hatte bei Zemans erstem Anlauf im Kampf um das Präsidentenamt vor zehn Jahren gegen den Älteren gestimmt. Das wirkt nach.

Eigentlich hätte erst im kommenden Jahr gewählt werden sollen. Doch ein spektakulärer Bespitzelungsskandal zwang den liberal-konservativen Ministerpräsidenten Petr Necas (ODS) im Juni zum Rücktritt. In Umfragen dümpelt die einst stärkste konservative Kraft nun zwischen 7,2 und neun Prozent der Stimmen. Für eine Überraschung könnte noch die Bewegung ANO des Agrar-Milliardärs Andrej Babis sorgen. Er wirbt mit eingängigen Slogans wie „Wir sind keine Politiker – Wir schuften“.

Der Politologe Pehe sieht diese und andere neue „Bewegungen“ allerdings kritisch: „Sie haben kein klares Programm, werden jeweils von einer einzigen Führungsperson kontrolliert und behaupten, die Parteipolitik sei verdorben.“ Diese Antipolitik könne kein Ausweg aus der Vertrauenskrise sein, meint der gefragte Kommentator.