Berechnungen zeigen: Selbst mit kräftiger Unterstützung seiner Euro-Partner wird Griechenland seine auferlegten Sparziele deutlich verfehlen

Berlin. Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich in den vergangenen Wochen ehrlich gemacht. Ein drittes griechisches Hilfspaket, räumte der Finanzminister ein, werde es nach der Bundestagswahl geben müssen. Schäuble will sich nach dem Wahlsonntag nicht vorwerfen lassen, die Wähler belogen zu haben. In einer anderen Frage aber gibt sich Schäuble nach wie vor unnachgiebig: Einen Schuldenschnitt für Griechenland schließt er wie die ganze Bundesregierung kategorisch aus. Das sei „weder nötig, noch sinnvoll“, sagte Schäuble jüngst der „Welt am Sonntag“. Die Lage in Griechenland habe sich merklich gebessert, das Land liege zum Teil über den Erwartungen der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Deshalb müsse man nicht über einen Schuldenschnitt debattieren. Das stifte nur Unruhe.

Berechnungen der DZ Bank kommen jedoch zu einem völlig anderen Ergebnis. Selbst wenn die Troika wie geplant Griechenland im Herbst mit weiteren kleineren Hilfsmaßnahmen unter die Arme greift, wird das Land die nächsten Jahre auf seinem hohen Schuldenberg sitzen bleiben – und die vorgebenden Sparziele deutlich verfehlen. „Die Berechnungen zeigen eindeutig: Ein Schuldenschnitt für Griechenland ist unabwendbar“, sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank.

Die Bundesregierung hat durchaus gute Gründe, einen griechischen Schuldenschnitt abzulehnen. Er könnte die Anreize für Griechenland schwächen, sein Reformprogramm durchzuziehen. Andere Euro-Krisenstaaten wie Portugal oder Irland könnten sich ungerecht behandelt fühlen und ebenfalls einen Schuldenerlass einfordern. Und nicht zuletzt wäre ein solcher Schritt dem deutschen Steuerzahler schwer zu verkaufen. Denn erstmals seit der Euro-Rettung ginge es nicht mehr nur um die Übernahme von Haftungsrisiken. Bei einem Schuldenschnitt würde echtes Geld fließen.

So richtig all diese Einwände auch sind: Mit ihrer Blockadehaltung gegen einen Schuldenschnitt steht die Bundesregierung dennoch ziemlich alleine da. Nicht nur die Griechen selbst sehnen einen Erlass herbei. Auch IWF-Chefin Christine Lagarde und fast die versammelte Ökonomen-Schar halten eine teilweise Streichung der griechischen Staatsschuld für alternativlos, wenn Griechenland bald nicht mehr Tropf der Troika hängen, sondern sich selbst am Markt finanzieren soll. Der Grund für die einträchtige Stimmungslage ist Griechenlands Schuldenberg von weit mehr als 300 Milliarden Euro: Griechenlands Schuldenstand wird gemessen am Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr auf 175 Prozent anschwellen. Zum Vergleich: Im Maastricht-Vertrag wurde die rote Linie für ausufernde Staatsschulden einst bei 60 Prozent gezogen. Kaum ein Investor wird einem Land, das so hoch verschuldet ist wie Griechenland, daher zu vertretbaren Konditionen Geld leihen.

Die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung sorgen weiter für Unruhe im Land. Aus Protest gegen geplante Massenentlassungen im öffentlichen Dienst sind die Staatsbediensteten am Mittwoch in einen 48stündigen Streik getreten. Tausende gingen in Athen und anderen Städten des Landes auf die Straßen. Der Ausstand steht unter dem Motto „Dauerkampf gegen die Sparpolitik“. Im Zentrum Athens brach wegen zahlreicher Demonstrationen der Verkehr zusammen. „Wir sind Menschen, keine Zahlen“, skandierten die Demonstranten. „Keine Entlassungen – entlasst die Troika (die Kontrolleure der Geldgeber)“, stand auf vielen Transparenten.

Von dem Arbeitskampf sind vor allem Behörden und die Volksschulen betroffen. Auch Gerichte und zahlreiche Museen blieben geschlossen. Die Gymnasiallehrer streiken schon seit Montag für fünf Tage. Auch die Ärzte in staatlichen Krankenhäusern nehmen am Ausstand teil. Sie behandeln nur Notfälle. Auch die Journalisten schlossen sich dem Streik an. Sie legten von neun Uhr Ortszeit für drei Stunden die Arbeit nieder. Im Radio und Fernsehen gab es in diesem Zeitraum keine Nachrichten. Bis Ende 2014 sollen 15.000 Staatsbedienstete entlassen werden, davon 4000 noch in diesem Jahr.

Nach der tödlichen Messerattacke auf einen linken Aktivisten erwägt die Regierung das Verbot der im Parlament vertretenen nationalistischen Partei Goldene Morgenröte. Die Polizei nahm einen 45 Jahre alten Griechen unter Tatverdacht fest. Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich nach Angaben des Ministers für Bürgerschutz, Nikos Dendias, um einen bekannten Rechtsextremisten. Das Opfer sei ein 34-jähriger Grieche, der nach Polizeiangaben am frühen Morgen in der Hafenstadt Piräus niedergestochen wurde. Der Festgenommene habe die Tat gestanden. Nach Darstellung der außerparlamentarischen Partei Antarsya war der Antifaschist von Parteimitgliedern der Goldenen Morgenröte nach einem Streit in einem Café überfallen worden.

„Ich rufe alle demokratischen Kräfte auf, zusammen zu entscheiden, dass der Staat und die Gesellschaft keine Taten mehr akzeptiert, die die Demokratie untergraben“, sagte Dendias, der wegen der angespannten Lage einen geplanten Italien-Besuch absagte. Die Regierung werde mit den demokratischen Parteien Wege suchen, wie die Goldene Morgenröte als verbrecherische Organisation verboten werden könne. In Umfragen kommt die Goldene Morgenröte derzeit auf 13 Prozent; bei der Wahl 2012 waren es sieben Prozent. Die Partei ist mit 18 Abgeordneten im 300 Sitze zählenden Parlament vertreten.