In der Syrien-Krise sind die G20 tief zerstritten. Nur zehn Staaten stellen sich hinter die Pläne der USA für einen Militärschlag – Deutschland nicht

St. Petersburg. Der Gipfel endet im Streit. Im Syrien-Konflikt agieren die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer wie gelähmt. Das zeigt sich sogar, als die G20-Führer zum traditionellen Gruppenbild anfangs so gar nicht zusammenrücken mögen. Mit deutlichem Abstand zueinander stellen sich die Staats- und Regierungschefs vor dem malerischen Konstantinpalast in St. Petersburg auf. Erst auf Kommando winken sie in die Kameras. Die Sonne strahlt. Kein Wölkchen steht am Himmel über der früheren Zarenstadt. Doch von eitel Sonnenschein kann keine Rede sein. Im fünften Jahr ihrer Existenz präsentiert sich die Gipfeltruppe so zerstritten wie nie zuvor.

Dass auf dem bislang achten Gipfel nicht noch mehr Porzellan zerschlagen wurde, wird am Ende schon als Erfolg gewertet. Im Umgang mit der Eskalation der Gewalt in Syrien wird den G20-Führern Untätigkeit, Handlungsunfähigkeit und „ein Mangel an Ambitionen“, so ein westlicher Regierungschef in kleiner Runde, bescheinigt.

Als Barack Obama am Abend zuvor reichlich verspätet und alleine zum Essen erscheint, wirkt der US-Präsident isoliert mit seinen Plänen für einen Militärschlag auf Syrien, um das Regime in Damaskus für den Chemiewaffeneinsatz zu bestrafen. Ein tiefer Spalt tut sich zwischen Gegnern und Befürwortern eines Gewalteinsatzes auf.

Die meisten Europäer verstecken ihren Widerstand gegen einen Militärschlag hinter dem Argument, die Vereinten Nationen müssten ihn autorisieren – wohl wissend, dass China und Russland dem nie zustimmen würden. Immerhin zehn Länder, darunter Großbritannien, Frankreich und Spanien, stellen sich in einer Erklärung dann doch hinter die Angriffspläne der USA als Antwort auf Giftgasangriffe in Syrien. Darin wird auch ein Vorgehen ohne ein Uno-Mandat gutgeheißen. „Wir unterstützen von den USA und anderen Ländern unternommene Anstrengungen, das Verbot des Chemiewaffeneinsatzes zu bekräftigen“, heißt es. Zu den Unterzeichnern gehören auch Australien, Kanada, Italien, Japan, Südkorea, Saudi-Arabien sowie die Türkei. Unter anderem Deutschland unterschrieb nicht.

Mit Blick auf die anhaltende Blockade im Uno-Sicherheitsrat heißt es: „Die Welt kann nicht endlose und gescheiterte Prozesse abwarten, die nur zu verstärktem Leid in Syrien und zu regionaler Instabilität führen können.“ Wer das Verbrechen eines Giftgasangriffs begehe, müsse zur Verantwortung gezogen werden. Die Erklärung betont zugleich, „dass es im Syrien-Konflikt keine militärische Lösung gibt“. Daher strebe man weiterhin eine politische Lösung an.

Gastgeber Wladimir Putin nutzt dagegen den Gipfel, um Obama als Kriegstreiber und sich selbst als Friedenszar zu präsentieren. Beide würdigen sich kaum eines Blickes, während sie sich zum Familienfoto aufstellen. Gequält lächelnd schaut Obama zu Boden. Auch der Kremlchef blickt bemüht am US-Präsidenten vorbei.

Erst am Nachmittag, nach dem offiziellen Ende des Gipfels, wird klar: Putin und Obama hatten sich doch zu einem etwa 30-minütigen persönlichen Gespräch getroffen. Es ging dabei allein um das Thema Syrien „Wir sind jeder bei seiner Meinung geblieben, aber es gibt einen Dialog“, sagt Putin danach. Es sei „ein sehr informatives, konstruktives und freundliches Gespräch“ gewesen. Verabredet sei, dass sich bald die Außenminister beider Länder treffen und „dieses sehr schmerzhafte Thema“ besprechen.

Ein Schlaglicht auf den Zustand der amerikanisch-russischen Beziehungen werfen Äußerungen der neuen US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power. Scharf kritisiert sie Moskaus Blockade-Haltung im Sicherheitsrat: „Russland hält diesen Rat weiter als Geisel.“ Die Verärgerung der Amerikaner über den Hausherrn im Zarenpalast ist groß – nicht nur weil er US-Außenminister John Kerry wegen dessen Beschreibung des Syrien-Konflikts der Lüge bezichtigt: „Er lügt, und er weiß das. Das ist traurig.“

Trotz der Angriffspläne will auch Obama ein Ende des Bürgerkriegs mit inzwischen mehr als 100.000 Toten auf dem Verhandlungsweg, heißt es aus seinem Umfeld. An der geplanten Genfer Konferenz müsse auch Russland teilnehmen, sagt Obamas stellvertretender Sicherheitsberater Ben Rhodes.

Dennoch treibt Obama die Vorbereitungen für den Angriff voran. Nach einem Bericht der „New York Times“ sollen mehr Ziele als bislang geplant in Syrien ins Visier genommen werden. Obama reagiere damit auf Geheimdienstberichte, wonach das syrische Militär Waffen in Erwartung eines Angriffs verlegt hätte, berichtet die Zeitung unter Berufung auf Regierungsbeamte. US-Sicherheitsbehörden erwarten nach Informationen des „Wall Street Journals“ iranische Vergeltungsmaßnahmen im Fall eines Angriffs in Syrien.

Am Nachmittag wird bekannt, dass die USA Personal aus ihrer Botschaft in Syriens Nachbarland Libanon abziehen. Weil US-Ziele bedroht sind, seien alle abkömmlichen Mitarbeiter und deren Angehörige zum Verlassen der diplomatischen Vertretung aufgefordert, so das US-Außenministerium am Freitag. Auch das US-Generalkonsulat im türkischen Adana sei angewiesen worden, das Personal zu verringern. Adana liegt unweit der syrischen Grenze.

Die Veto-Macht China mauert beim Gipfel in St. Petersburg zwar ganz ähnlich wie der Gastgeber, kommt aber ungeschoren davon – weil sie sich hinter Russland versteckt. Obama spricht gegenüber Staats- und Parteichef Xi Jinping von „großen Fortschritten“ in den Beziehungen. Der neue starke Mann Chinas will gar nicht über Syrien reden, sondern über Wege zu wirtschaftlichem Wachstum. Er nutzt sein Debüt auf dem G20-Gipfel, um allen ins Gewissen zu reden: Jeder müsse sein eigenes Haus in Ordnung bringen.

Gegenwind spüren die USA auch wegen ihrer Pläne, angesichts positiver Wachstumszeichen ihre ultralockere Geldpolitik auslaufen zu lassen. Indiens Premier Manmohan Singh mahnt zu einem „geordneten“ Ausstieg aus der Zeit des billigen Dollar. Börsen und Währungen in den bislang boomenden Schwellenländern brechen ein, weil die Kapitalzuflüsse plötzlich versiegen.

Zwar einigen sich die Brics-Staaten Brasilien, Russland, China, Indien und Südafrika auf einen Reservefonds über 100 Milliarden US-Dollar, doch Chinas Vizefinanzminister Zhu Guangyao sagt sofort: „Jetzt ist nicht die Zeit für Rettungspakete.“ Die betroffenen Staaten sollten Reformen einleiten und selber klarkommen.

Vage bleibt der Aktionsplan für Wachstum und Arbeit, den der Gipfel verabschiedet. Allein die Pläne im Kampf gegen Steuerflucht können als Erfolg verbucht werden, da sie den Druck auf Steueroasen und Konzerne verstärken, die Gewinne verschieben. Doch die Umsetzung ist schwierig. Der Austausch von Steuerinformationen sei „hoch komplex“, mahnt Finanzminister Wolfgang Schäuble zu Geduld.

Am Ende stellt sich die Frage, ob die G20-Familie überhaupt in der Lage ist, große Krisen in der Welt zu bewältigen. Die bunte Truppe, die zwei Drittel der Weltbevölkerung repräsentiert, ist zerstritten, mindestens aber zersplittert – in kleine Gruppen wie die G8, die Europäer oder die Brics.