Syrien, Afghanistan, Afrika: Im Wahlkampf scheint sich niemand für den Rest der Welt zu interessieren

Berlin. Zweieinhalb Stunden hatten die Spitzenkandidaten der Parteien für die Bundestagswahl nun Gelegenheit, einem Millionenpublikum vor den Fernsehgeräten ihre Überzeugungen darzulegen. Erst trafen Angela Merkel (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) im sogenannten TV-Duell aufeinander. Dann stritten Jürgen Trittin (Grüne), Rainer Brüderle (FDP) und Gregor Gysi (Linke) im „TV-Dreikampf“ miteinander. Das Fazit: Die drängendsten Probleme der Republik liegen irgendwo zwischen Maut, Mindestlohn und der Abwrackprämie für energiefressende Kühlschränke.

Für diese Themen boten die Diskutanten den Wählern ihre Konzepte dar. Jenseits der Landesgrenzen scheint dagegen alles weitgehend in Ordnung. Oder das Geschehen dort hat keinen maßgeblichen Einfluss auf Deutschland und seine Interessen. Internationale Schulden- und europäische Währungskrise spielten jedenfalls nur in ihrer griechischen Ausprägung eine Rolle. Sie erschöpften sich in der Debatte, ob und wie viel frisches Geld man irgendwann nach 2014 nach Athen überweisen müsse. Ansonsten schafften es Trittin, Brüderle und Gysi, außenpolitische Themen 60 Minuten lang zu ignorieren. Sie wurden von den Journalisten allerdings auch nicht danach gefragt – obwohl die FDP den amtierenden Außenminister stellt und die Grünen ihn künftig stellen möchten.

Afghanistan? Die deutschen Soldaten kommen heim, teuer war’s, mehr gibt es dazu offenbar nicht mehr zu sagen. Mali, warum nur ist die Bundeswehr vor ein paar Monaten noch mal dorthin geschickt worden? Die Europäische Union will somalische Soldaten in Mogadischu ausbilden, Deutschland soll mitmachen – anscheinend kein Thema für den Wahlkampf. Ganze fünf ihrer 90 Duellminuten widmeten Merkel und Steinbrück jenem Drama, vom dem es regelmäßig heißt, es finde vor unserer Haustür statt und könne den kompletten Nahen Osten entflammen oder gar in einen Dritten Weltkrieg münden: Syrien.

Nein, Deutschland werde sich militärisch an einem möglichen Angriff der USA auf Damaskus nicht beteiligen, versicherten die Kanzlerin und ihr Herausforderer unisono. Merkel ließ erahnen, dass sie einen Luftschlag als Reaktion auf den ersten Einsatz von chemischen Massenvernichtungswaffen in diesem Jahrhundert zumindest politisch billigen würde. Steinbrück will das wohl nur tun, wenn die Intervention mit einem Uno-Mandat erfolgte – was freilich aufgrund der Verweigerungshaltung Russlands im Uno-Sicherheitsrat ausgeschlossen erscheint. Die schwammige Botschaft der beiden führenden Politiker der europäischen Mittelmacht Deutschland lautete also in etwa: Das ist alles ganz schrecklich, man muss auch irgendwas machen, aber wir sind dazu nicht in der Lage und überlassen es lieber anderen, Konsequenzen zu ziehen – mit der Einschränkung, diese Konsequenzen zu kritisieren, wenn sie uns nicht gefallen.

Das Format der TV-Redeschlachten haben sich die Sendeanstalten von den USA abgeguckt. Es wäre freilich undenkbar, dass außenpolitische Fragestellungen, Entscheidungen über den Einsatz von Soldaten, über Krieg und Frieden, in einem Fernsehduell amerikanischer Präsidentschaftskandidaten quasi nur am Rande stattfinden. Hierzulande aber bewegt offenbar anderes.

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Merkel in ihrer Bundestagsrede am Dienstag aus eigenem Antrieb auf die Syrienthematik zu sprechen kam. Sie kritisierte die „insgesamt doch sehr harte Haltung von Russland und China“ im Uno-Sicherheitsrat. Und bekräftigte: „Deutschland wird sich an einem militärischen Einsatz nicht beteiligen.“ Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) beginnt seine Wahlkampfreden auf den Marktplätzen des Landes in diesen Tagen mit Anmerkungen zu Syrien. Allerdings versuchen beide, ihre politische Zustimmung zu einem US-Militärschlag so klingen zu lassen, dass sie beim Bürger als prinzipielle Ablehnung von Interventionen ankommt. Denn ausweislich aller Umfragen will die Mehrheit der Bürger, dass Deutschland sich heraushält. Eine andere Entscheidung der Regierung könnte also im Wahlkampf negative Auswirkungen haben. Aber was ist, wenn der amerikanische Verbündete ohne Mandat der Uno losschlägt? Was gilt den Deutschen das völkerrechtliche Prinzip der Schutzverantwortung, wenn ein Regime seine Bürger massakriert, die Uno aber blockiert sind? Was ist, wenn sich die Türkei an einem Angriff beteiligt, ein Land, in dem deutsche Soldaten stationiert sind? Was ist mit der Marine vor den Küsten des Libanons und Zyperns? Über diese naheliegenden Fragen schweigt man sich aus.

Die Linken gewiss nicht. Die selbst ernannte Anti-Kriegs-Partei hat als einzige einen klaren Kurs in der Syrienpolitik und zieht damit in den Wahlkampf. „Nichts und niemand kann einen Krieg gegen Syrien rechtfertigen“, sagte der Linken-Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke auf einer Demonstration am Wochenende in Frankfurt. Dass daran auch Unterstützter des syrischen Diktators Assad teilnahmen und dessen Porträt in die Luft hielten, war Gehrcke egal. „Wir müssen uns hier und heute nicht für oder gegen Assad entscheiden“, sagte er. Es gehe darum, zu verhindern, dass „eine Koalition der Willigen mit Bomben und Raketen über das Land herfällt“.

Das ist auch so ein deutsches Paradoxon: Gegen die Verantwortlichen eines Bürgerkriegs, der bereits mehr als 100.000 Tote kostete und im Einsatz von Chemiewaffen eskalierte, wird hierzulande nicht demonstriert. Gegen die USA, die dem Einhalt gebieten wollen, schon. Nicht nur im Wahlkampf, aber da erst recht.