Washington bestätigt Chemiewaffen-Einsatz in Syrien und wirft Damaskus Vertuschung vor. Uno-Inspekteure von Heckenschützen beschossen

Berlin. Mit insgesamt sechs Fahrzeugen verließ das Team der Vereinten Nationen am Montagmorgen das Luxushotel Vier Jahreszeiten in Damaskus. Nach schwierigen Verhandlungen mit der syrischen Regierung hatten die Uno-Experten für chemische Waffen endlich grünes Licht bekommen. Fünf Tage nach dem mutmaßlichen Einsatz von chemischen Kampfstoffen in zwei Vororten der syrischen Hauptstadt kann das internationale Spezialistenteam die grauenhaften Ereignisse untersuchen. „Mehr als 1600 Menschen sind gestorben“, behauptete Salim Idris, der Chef der Freien Syrischen Armee (FSA), die seit dem Jahr 2011 das Regime von Präsident Baschar al-Assad bekämpft.

Für das Uno-Team wird es keine leichte Aufgabe. In die betroffenen Orte Zamalka und Ein Tarma im Osten der Hauptstadt sind es vom Hotel nicht mehr als 15 Kilometer. Aber auf dem Weg dorthin und auch in den Südwesten muss der Konvoi die Frontlinien zwischen Rebellen und Regierungstruppen passieren. Das Team wurde auf seinem Weg in den südwestlichen Bezirk Muadhamia mehrfach von Scharfschützen beschossen und musste umkehren. Später konnte der Konvoi weiterfahren und erreichte den Ort, um Proben zu nehmen, bevor er wieder nach Damaskus zurückkehrte. Syrische Staatsmedien machten „Terroristen“ für den Beschuss verantwortlich. Das Uno-Team will insgesamt fünf Orte besuchen, um Beweise zu sammeln.

Die USA haben nach den Worten von Außenminister John Kerry inzwischen kaum noch Zweifel, dass das Regime in Syrien Giftgas eingesetzt hat. Dies sei trotz aller Versuche in Damaskus, dies zu leugnen, „unbestreitbar“, sagte Kerry am Montag in Washington. Es handele sich um eine „moralische Obszönität“, sagte Kerry. „Was wir in der vergangenen Woche in Syrien gesehen haben, schockiert das Bewusstsein der Welt.“ Er warf dem Regime von Präsident Baschar al-Assad vor, Beweise zu vertuschen. Die USA und die internationale Gemeinschaft müssten darauf antworten. Präsident Barack Obama werde in Kürze darüber entscheiden.

Auch für Großbritannien gibt es „kaum Zweifel“, dass die syrische Armee chemische Waffen eingesetzt hat. Darüber habe sich Premierminister David Cameron mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten François Holland verständigt, verlautete aus der Downing Street. „Ein Chemiewaffenangriff dieses Ausmaßes bedarf einer harten Reaktion der internationalen Gemeinschaft“, hieß es aus London weiter. Als einzige Option komme nur ein Militärschlag infrage. Dafür sei nicht unbedingt eine „völlige Einigkeit“ des Uno-Sicherheitsrats notwendig, meinte Außenminister Hague. „Sonst wäre es ja nicht möglich, auf solche unglaublichen Verbrechen zu antworten.“ Hague verweist auf die Rolle Russlands im Sicherheitsrat: Moskau ist, neben dem Iran, der stärkste Unterstützer von Präsident Assad und torpediert jeden negativen Beschluss gegen das Regime mit seinem Vetorecht.

Die US-Marine hat inzwischen ein weiteres, viertes Kriegsschiff, das mit Marschflugkörpern ausgerüstet ist, in das Mittelmeer entsandt. Das Pentagon soll zudem die Liste von Zielen für mögliche Luftangriffe aktualisiert haben, berichteten amerikanische Medien. US-Außenminister Kerry besuchte in den vergangenen Tagen einige der Nachbarländer Syriens, um die Stimmungslage zu sondieren und für einen möglichen Angriff zu werben.

Inspektoren haben nicht die Aufgabe, Verursacher des Gasangriffs zu finden

In der Türkei lief er offene Türen ein. Das Land ist ein erklärter Gegner des Assad-Regimes. Die türkische Regierung erlaubt den Rebellen, Waffen über ihre Grenzen zu schmuggeln, und lässt radikale Islamisten auf dem Weg nach Syrien passieren. In Israel versorgt sich die Zivilbevölkerung angesichts der wachsenden Spannungen mit Gasmasken. Israel hatte erstmals vor dem Golfkrieg von 1991 Gasmasken an seine Bevölkerung verteilt. Damals war befürchtet worden, der Irak könnte seine Raketen mit nicht konventionellen Sprengköpfen bestücken. Alles scheint also auf einen Militäreinsatz in Syrien hinzuweisen – obwohl die Experten der Uno ihre Untersuchungen gerade erst aufgenommen haben und die Auswertung ihrer Proben noch mehrere Wochen dauern kann. Zudem hat das Team nicht die Aufgabe, herauszufinden, wer die mutmaßliche chemische Verseuchung verursacht hat. Einen Nachweis, dass die syrische Armee dafür verantwortlich ist, selbst wenn es der gegenwärtige Erkenntnisstand nahelegt, wird es nicht geben.

Der syrische Präsident Assad hat in der russischen Zeitung „Iswestija“ bekräftigt: „Syrien hat keine Chemiewaffen eingesetzt.“ Es entbehre jeder „vernünftigen Logik“, wenn die eigenen Truppen, die nur wenige Kilometer entfernt seien, in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Regierungssoldaten sollen an der Front in Damaskus selbst unter Atemproblemen gelitten haben. Das Staatsfernsehen veröffentlichte Bilder von Tunneln, in denen chemisches Material und Gasmasken der Rebellen gefunden worden seien. Assad warnte die USA vor einem militärischen Eingreifen. Amerika drohe ein Scheitern wie in allen bisherigen Kriegen, sagte er in der „Iswestija“, und verwies auf Vietnam. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte den Westen vor einem militärischen Eingreifen: „Ohne ein Mandat des Uno-Sicherheitsrats wäre es eine schwerer Verstoß gegen internationales Recht.“