Das Urteil gegen Bradley Manning soll Geheimnisverräter in den USA abschrecken

Washington. Die Verteidiger baten darum, dem Mann nicht „seine Jugend zu rauben, sie hielten maximal 25 Jahre für angemessen. Die Staatsanwälte wollten erst den 85 Jahre alten Bradley Manning wieder in Freiheit sehen: Nun ist der Obergefreite Manning wegen Geheimnisverrats am Mittwoch zu 35 Jahren Haft in einem US-Militärgefängnis verurteilt worden. Das Urteil der Richterin Oberst Denise Lind in Fort Meade (US-Staat Maryland) war mit Spannung erwartet worden. Die Höchststrafe hätte bei 90 Jahren gelegen. Manning wurde zudem unehrenhaft aus den US-Streitkräften entlassen. Die Strafe gilt als hart; in den 80er-Jahren etwa wurden US-Verräter, die für die Sowjetunion spioniert hatten, mit höchstens 30 Jahren Haft bestraft.

Manning hatte vor drei Jahren als Analyst des Heeres im Irak 750.000 Geheimdokumente, darunter Videos von Gefechten, diplomatische Korrespondenz und andere Informationen aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan, an die Organisation WikiLeaks übermittelt. Aus Gewissensgründen, wie Manning angab. Seine Anhänger fordern den Friedensnobelpreis für den Whistleblower. Laut den Anklägern handelte Manning aus reiner Geltungssucht und als „Verräter“, der es in Kauf nahm, Menschenleben zu gefährden.

Eine Berufung gegen den Spruch wird nach den Prozessregeln des US-Militärs automatisch eingeleitet; gewöhnlich wird nach Verbüßung eines Drittels der Haftstrafe ein Bewährungsprüfungstermin angesetzt. Mannings Anwalt David Coombs hat angekündigt, sich für eine Minderung der Haftstrafe einzusetzen und den Weg einer Begnadigung durch den US-Präsidenten zu suchen.

Ein Urteil gegen Edward Snowden dürfte kaum weniger hart ausfallen

Eine lange Haftstrafe war unumgänglich geworden, nachdem sich Manning in zehn von 22 Anklagepunkten schuldig bekannt hatte. Richterin Lind hatte ihn von dem gewichtigsten Vorwurf des Hochverrats, der die Todesstrafe oder mindestens lebenslange Haft nach sich zieht, freigesprochen. Vor dem Schuldspruch hatte sich der Angeklagte entschuldigt: „Ich weiß, dass ich den Preis für meine Entscheidungen zahlen muss.“ In US-Medien waren Fotos des Obergefreiten in Frauenkleidung aufgetaucht. Auch das ist der Preis. Ein Militärpsychologe hatte dem homosexuellen Manning zuvor eine Persönlichkeitsstörung und eine Störung der Geschlechteridentität attestiert. Er habe während seiner Irak-Stationierung unter „emotionalem Stress“ gestanden, da er darüber nachgedacht habe, als Frau zu leben. Die Ankläger stellten während ihres Schlussplädoyers am Dienstag noch einmal klar, dass es ihnen nicht um die Bestrafung Mannings allein ginge. Die Abschreckung potenzieller Whistleblower scheint dem Militär mindestens so wichtig zu sein. Der Zugang eines niederrangigen Auswerters von Armee-Berichten zu geheimsten Informationen muss das Pentagon alarmiert haben.

Im Verfahren gegen Manning machten die Ankläger geltend, dass er wahllos und ohne Rücksicht auf mögliche Lebensgefahr für US-Agenten oder Agenten ihrer Verbündeten Daten abgeschöpft und veröffentlicht hätte. Edward Snowden, der als freier Mitarbeiter des Geheimdienstes mit nicht weniger brisanten, geheimen Daten den Überwachungsskandal des Geheimdienstes NSA angestoßen hat, wird zugutegehalten, dass er Lecks auswählte. Und, soweit bekannt, keine amerikanischen Leben aufs Spiel setzte. Ein Urteil gegen Snowden, sollte er sein russisches Asyl verlassen und sich den zivilen US-Gerichten stellen, dürfte dennoch kaum weniger hart ausfallen.