Einem privaten Besucher soll der Kirchenmann jetzt erzählt haben, weshalb er sich dazu entschied, den Stuhl Petri zu räumen: „Gott hat es mir gesagt.“

Rom. Dass heute in Rom Papst Franziskus auf dem Stuhl Petri sitzt und nicht mehr Benedikt XVI., ist nun wohl doch nicht VatiLeaks, Alterskrankheiten oder aufreibenden Streitereien in der römischen Kurie zu verdanken. Joseph Ratzinger hat sein Amt als Papst Benedikt XVI. im Februar aus einem ganz simplen Grund abgegeben: „Gott hat es mir gesagt.“ Das soll er einem Besucher während eines privaten Gesprächs anvertraut haben, berichtet die katholische Nachrichtenagentur Zenit.

Dass es sich bei seiner Entscheidung um „göttlichen Willen“ gehandelt habe, begreife er, desto mehr er das „Charisma“ seines Nachfolgers Papst Franziskus beobachte, so Zenit weiter. Der Theologe Ratzinger habe seinem Besucher gegenüber außerdem präzisiert, dass es sich dabei wahrlich nicht um „eine Erscheinung oder ein ähnliches Phänomen gehandelt“ habe, sondern um eine „mystische Erfahrung“. Gott habe in seinem Herzen den „absoluten Wunsch“ geweckt, allein mit ihm im Gebet zu bleiben. Diese mystische Begegnung habe sich über die letzten Monate fortgesetzt.

Die wenigen Worte lösten Erstaunen aus, vor allem weil Joseph Ratzinger seit seinem Rücktritt in einer selbst erwählten Klausur lebt. Da ist er zum absoluten Schweigen und zur Einsamkeit verpflichtet. Der Zenit-Autor verteidigt seine Entscheidung: Mit den Worten, die Ratzinger seinen seltenen Besuchern sage, würde er sich nie in die Angelegenheiten seines Nachfolger einmischen. Er behalte „strikt die für ihn typische Zurückhaltung bei“ und spräche höchstens von den „Wundern des Heiligen Geistes oder von sich selbst, wie jetzt von seiner Entscheidung, sich aufgrund einer göttlichen Eingebung zurückzuziehen“.

Erster freiwilliger Rücktritt seit dem Mittelalter

Ratzingers Worte liefern erstmals nach seinem Rücktritt am 28. Februar eine Erklärung für seinen ungewöhnlichen und überraschenden Schritt. Dass er dank seiner Entscheidung "in die Geschichte und nicht nur in die Kirchengeschichte eingehen" wird, wie die Tageszeitung "La Repubblica" am Mittwoch noch einmal unterstrich, half aber niemandem dabei, seine Geste zu erklären.

Am 11. Februar hatte Benedikt XVI. seinen Rücktritt vor den Kardinälen im Konsistorium angekündigt. Dank der schnellen Übersetzung einer römischen Journalistin ging die unglaubliche Nachricht in Sekundenschnelle um die Welt.

Es war eine Sensation, zuletzt war ein Papst im Mittelalter freiwillig und nicht – wie normalerweise üblich – durch den Tod aus dem Amt geschieden. Noch mehr Erstaunen löste es dann aus, dass Ratzingers Alterssitz nicht in der bayerischen Heimat, sondern hinter den vatikanischen Mauern sein sollte.

Aber als Benedikt XVI. am 28. Februar vom Heliport der Vatikanstadt im weißen Papst-Hubschrauber abhob und durch einen azurblauen Himmel über die ewige Stadt in seine Übergangsunterkunft, die Sommerresidenz der Päpste in Castel Gandolfo, flog, nahm er ein Geheimnis mit, an dem die Welt sich seither den Kopf zerbricht: Warum war der Papst zurückgetreten?

Katholische Gerüchteküche

In der katholischen Gerüchteküche im und um den Vatikan brodelte es seither: Vatileaks und andere Skandale, Ärger und nervenzehrende Streit in der römischen Kurie, Altersschwäche und Krankheiten sollen Papst Benedikt XVI. zu seiner überraschenden Entscheidung getrieben haben.

Spezialisten, Kenner und Journalisten tobten sich mit Vermutungen aus und jeder wusste es besser. Der zum Schweigen verdammte Ratzinger durfte ja nicht mehr mitreden.

Vielleicht war Joseph Ratzinger es nun leid, eingeschlossen in seinen Mater-Ecclesiae-Altersitz, einem ehemaligen Kloster hinter den hohen Vatikan-Mauern, Gerüchte jeder Art zu hören. Täglichen Austausch hat Ratzinger dort nur mit den drei treuen Schwestern Loredana, Cristina und Carmela, die ihn schon in seiner Amtszeit betreut haben.

Die Quelle bleibt strikt geheim

Seinem Besucher verhalf er jedenfalls zu dem "Privileg", die klärenden Worte "direkt aus dem Mund des emeritierten Papstes zu hören", wie Zenit-Autor Salvatore Cernuzio über seinen Informanten schreibt. Der hält seine Quelle allerdings strikt geheim.

Zenit ist eine katholische Nachrichtenagentur, "no-profit und mit dem Ziel, Nachrichten über den Papst und aus dem Vatikan mit Professionalität und Treue zur Wahrheit" zu verbreiten, wie es auf ihrer Homepage heißt. Sie gilt tatsächlich als sehr seriös.

So berichtete Zenit auch von einem erneuten Besuch Ratzingers in Castel Gandolfo. Der emeritierte Papst verbrachte dort den vergangenen Sonntag – die Luft ist in den südlich von Rom gelegenen Albaner Bergen kühler als im stickigen römischen August in der Stadt.

Franziskus überlässt Ratzinger seine Sommerresidenz

Er soll einen langen Spaziergang gemacht und sich ein eigens für ihn aufgeführtes Konzert angehört haben. Bei all dem soll er in guter Form gewesen sein: Sichtlich habe er sich von den Strapazen vor seinem Rücktritt erholt.

Ratzinger hat in Castel Gandolfo wie die meisten seiner Vorgänger nicht nur regelmäßig die Sommerpause verbracht, sondern kam auch während des Jahres mehrfach in die Residenz. Er liebt den riesigen Park, in dem er ausgedehnte Spaziergänge macht.

Sein Nachfolger Papst Franziskus hat in diesem Jahr auf Urlaub in der Sommerfrische verzichtet und seine Residenz an Ratzinger abgetreten: Es gäbe ohnehin zu viel Arbeit für ihn, so Franziskus, er bleibe in Rom.