Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt Fotos von der ägyptische Revolution. Sie beeinflussen das Geschehen auf den Straßen von Kairo.

Hamburg. Fast übermächtig brechen diese Bilder auf uns ein, die Menschen auf Ägyptens Straßen und Plätzen zeigen. Zornige Frauen und Männer, die Fahnen und Transparente tragen, die ihre Fäuste ballen oder die Hände schützend vor die Gesichter halten. Die Ketten bilden, sich bei den Händen halten, aufeinander stützen, die mutig voranschreiten oder in Panik vor Soldaten und Polizisten fliehen.

Man sieht entschlossene oder fröhliche Gesichter, aber auch solche, aus denen blankes Entsetzen spricht. „Kairo. Neue Bilder einer andauernden Revolution“, heißt die Ausstellung, in der das Museum für Kunst und Gewerbe eine Geschichte dokumentiert, die noch mitten im Fluss ist und von der noch keiner sagen kann, in welche Richtung sie sich entwickeln, wie sie schließlich ausgehen wird.

Noch kurz vor dem Pressetermin im Museum hat Mariam Mekiwi mit ihrem Vater in Kairo telefoniert, hat sich von ihm über die schrecklichen Ereignisse des Mittwoch berichten lassen, über die Gewalt und die vielen Toten. Sie solle auf keinen Fall am Wochenende nach Ägypten fliegen und nicht zu Besuch nach Hause kommen, das sei viel zu gefährlich, hat ihr der Vater am Telefon gesagt.

Als sie die Ausstellung wenig später betritt und die Geräusche hört, die zur Inszenierung gehören, die Sprechchöre und vor allem die Polizeisirenen, wird ihr fast schlecht. „Immer wenn ich diese Sirenen gehört habe, wusste ich, dass gleich geschossen wird“, sagt die 26 Jahre alte Künstlerin und Filmemacherin, die seit einem knappen Jahr mit einem Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung in Hamburg lebt und an der Kunsthochschule studiert.

Als die Massenproteste 2011 in Kairo begannen, war sie dabei, hat erst aus dem Fenster ihres Hauses das Geschehen auf der Straße gefilmt und ist dann nach unten gegangen, hat sich eingereiht, hat nicht mehr nur beobachtet, sondern mitgemacht, gekämpft. „Auf der Straße habe ich damals relativ wenig gefilmt, das war einfach zu aufregend, da passiert alles viel zu schnell, wenn man mittendrin ist“, erzählt sie.

Mekiwi gehört zu den zahlreichen ägyptischen Fotografen, Filmemachern und Künstlern, die an der Ausstellung beteiligt sind, die das Museum für Kunst und Gewerbe gemeinsam mit dem Museum für Photographie Braunschweig und dem Essener Museum Folkwang konzipiert hat.

Als Mariam Mekiwi beim Presserundgang am Mittwoch ihre Videoarbeit erläutert, in der es um die so schwer zu findende Distanz zu den täglichen Ereignissen geht, spricht sie aus, was viele empfinden: „Während wir uns hier in Hamburg aus der Distanz die Filme und Bilder ansehen, geschieht genau das in Ägypten. Während wir hier die Bilder der Gewalt sehen, ereignet sich diese Gewalt dort, sterben dort Menschen.“

Die ägyptische Revolution ist wie der Arabische Frühling insgesamt eine Revolution der Bilder, die millionenfach von allen Beteiligten aufgenommen werden und sich sekundenschnell übers Netz verbreiten.

Gleich im Eingangsbereich ist eine Wand nicht nur mit den Titelseiten ägyptischer und internationaler Zeitungen zu sehen, sondern eben auch mit den ausgedruckten Twitter-Nachrichten, die zu den jeweiligen Ereignissen verbreitet worden sind.

Aber die Geschichte beginnt schon lange vorher, zu einer Zeit als die Macht des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak noch scheinbar unangefochten war. Die soziale Lage vieler Menschen hatte sich auch unter dem Einfluss der globalen Wirtschaftskrise so weit verschlechtert, dass es immer wieder zu Protesten kann.

In der Ausstellung sind Bilder aus der Stadt Al-Mahalla al-Kubra zu sehen, in der es am 6. April 2008 zu einem Arbeiteraufstand kam, bei dem bereits sichtbar wurde, wie groß das Protestpotenzial tatsächlich ist. Als die Unruhen dann das ganze Land erfassten und am 25. Januar 2011 auf dem Kairoer Tahrir-Platz den Sturz von Mubarak einleiteten, reisten Fotojournalisten aus dem Westen an, um im Auftrag ihrer Redaktionen Bilder zu Sinnbildern zu verdichten.

Während die arabischen Zeitungen vor allem Massenbilder zeigen, suchen die westlichen Fotoreporter Ikonen: Menschen, die die rote Karte zeigen, Porträts hochhalten oder zu Boden werfen, Einzelnen, die Polizeikordons gegenüberstehen. Es sind Bilder mit einer eigenen Ästhetik, die dennoch Distanz zeigen, Bilder von Beobachtern.

Ganz anders die Bilder der jungen Straßenfotografen und Bürgerjournalisten, die schon deshalb nicht wie die klassischen Fotoreporter arbeiten, weil sie eben nicht nur Beobachter sind, sondern auch Akteure. Sie sind mittendrin, sie arbeiten nicht für Redaktionen, sondern stellen ihre Bilder oder Filme auf ihre Websites und Blogs und verbreiten sie über soziale Netzwerke.

Und damit schaffen sie eine Gegenöffentlichkeit, auch zum verhassten Staatsfernsehen, das sein Informations- und Deutungsmonopol längst verloren hat. Und inzwischen auch jeden Rest an Glaubwürdigkeit. „Schaltet das Fernsehen aus, kommt auf die Straße“, steht auf Plakaten. In der Ausstellung wird kein Bildmaterial gezeigt, stattdessen ein Großfoto der Kairoer Sendezentrale, ein monströses Bauwerk in totalitärer Einschüchterungsarchitektur.

Da fast jeder inzwischen ein Smartphone mit Kamera besitzt, gibt es keinen Moment des Umbruchs mehr, der nicht in Bilder gefasst, mit Bildern dokumentiert und auch durch Bilder beeinflusst wird. Denn die Veröffentlichung von Bildern und Videos im Netz entfaltet eine ganz eigene Dynamik. Das Video, das zum Beispiel zeigt, wie Polizisten einen toten Demonstranten würdelos und menschenverachtend in den Müll werfen, empört Menschen, die sich bis dahin noch zurückgehalten haben, und treibt auch sie auf die Straße.

Demonstranten werden zu alternativen Berichterstattern, die sich zu Kollektiven und Initiativen zusammenschließen und Millionen Menschen zu mobilisieren vermögen. Der Protest gegen Mursi war auch deshalb so erfolgreich, weil er von vielen Akteuren aus dieser Szene gefördert und befeuert worden ist.

Bei den Bildern und Karikaturen, Zeichnungen und Illustrationen, die über die Netzwerke verbreitet werden, zeigt sich aber auch die tiefe Kluft, die die ägyptische Gesellschaft durchzieht. Denn anders als bei „klassischen Revolutionen“, wo es um die Befreiung von einer herrschenden Klasse geht, stehen sich in Ägypten nicht nur Volk und Militärs gegenüber, sondern zugleich auch Säkulare und Islamisten, Menschen, die nach der Scharia leben wollen, und solche, die sich nach persönlicher Freiheit sehnen.

Auf die Frage, ob es denn überhaupt noch eine Revolution sei und nicht schon längst ein Bürgerkrieg, antwortet Mariam Mekiwi entschieden. „Nein, es ist eine Revolution, denn es geht uns um die Freiheit. Ich will kein Land, in dem andere bestimmen, wie ich leben soll. Es gibt viele, die so frei leben wollen wie ich, deshalb lassen wir uns die Revolution nicht stehlen“, sagt die 26-Jährige, der es noch immer schwerfällt, die Polizeisirenen aus den Lautsprechern zu hören.

Sie sieht die vielen Bilder in der Ausstellung, die Erinnerungen wecken und ihr zugleich Angst machen. Ein Jahr studiert sie noch in Hamburg, bevor sie nach Ägypten zurückkehrt. Am Abend wird sie wieder mit ihrem Vater in Kairo telefonieren und erfahren, wie er seinen Tag verbracht hat in dieser Revolution, von der keiner weiß, wie sie ausgehen wird.

Kairo. Neue Bilder einer andauernden Revolution. Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz. Bis 17.11., Di–So 10.00–18.00, Do bis 21.00. Am 16.8. startet 16.00 Uhr ein Rundgang mit ägyptischen Künstlern durch die Ausstellung.