Britische Kriegsmarine nimmt Kurs auf Gibraltar, Spanier verschärfen Kontrollen an der Grenze. Auf Völkerrechtler wartet viel Arbeit

Madrid/London. Im Konflikt um die britische Kronkolonie Gibraltar am Südzipfel Spaniens dürfen sich Völkerrechtler auf einträgliche Beschäftigung freuen. In London erwägen die Juristen der konservativ-liberalen Koalitionsregierung von Premierminister David Cameron eine offizielle Beschwerde bei der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof. Dadurch will Downing Street 10 die „politisch motivierten und völlig unangemessenen Grenzkontrollen“ beenden, mit denen Madrid seit zwei Wochen alle Grenzgänger schikaniert. Im spanischen Außenministerium ist hingegen von politischen Initiativen bei der Uno sowie einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag die Rede, mit denen die lang ersehnte Souveränität über das Territorium erlangt werden soll.

Verantwortlich dafür, dass Großbritannien heute Hunderte Kilometer jenseits von London ein Stückchen der Iberischen Halbinsel für sich behaupten kann, ist Sir George Rooke. Im Jahr 1704 eroberte der britische Admiral den strategisch so günstig gelegenen Felsen im spanischen Erbfolgekrieg. Seitdem zanken sich Spanien und Großbritannien um die gerade einmal 6,5 Quadratkilometer große Landzunge an einer der trostlosesten Stellen Spaniens, die als Tor nach Afrika und Einfahrt ins Mittelmeer eine nicht zu unterschätzende militärische Bedeutung hatte.

Deshalb erzwangen die Briten 1713 im Vertrag von Utrecht seine Abtretung „für immer, ohne Ausnahme oder Einschränkung“. Allerdings war damals nur von „Stadt und Burg, zusammen mit Hafen und Wehranlagen“ die Rede. Weder spricht der Vertrag vom mittlerweile dem Mittelmeer abgerungenen Land, auf dem der Flughafen der Kolonie gebaut wurde, noch erwähnt er territoriale Gewässer. Schon 1954 verlangte die Regierung von Generalissimo Francisco Franco die Rückgabe von Gibraltar. Seither betont jede spanische Regierung, egal welcher politischer Couleur, ihr Recht, bei Fragen zu Gibraltar mitreden zu können. Der amtierende Außenminister José Manuel García-Margallo schlug bei seinem Amtsantritt Ende 2011 besonders martialische Töne an. Er erklärte nämlich, er werde Gibraltar erst betreten, wenn dort die spanische Flagge weht.

An den ungeklärten Hoheitsgewässern entzündete sich der jüngste Streit. Die gewählte Regierung Gibraltars unter Fabian Picardo ärgert sich seit langem über spanische Fischer, die ihrem Beruf in vermeintlich gibraltarischen Gewässern nachgehen. London bestellte deshalb im vergangenen November schon einmal den spanischen Botschafter ein, wenn auch ohne Erfolg. Ende Juli ließ Picardo deshalb Dutzende von Betonblocks mit Haken und Ösen im Meer versenken. Das künstliche Riff soll später einmal Touristen anlocken, vor allem aber spanischen Fischern die Arbeit erschweren. „Jetzt ist die Party vorbei“, soll daraufhin Außenminister García-Margallo geschäumt haben. Jedenfalls kontrollieren die Behörden seither den Verkehr zwischen der Grenzstadt La Línea und Gibraltar besonders penibel. Die Wartezeiten betragen selbst für Fußgänger und Radfahrer bis zu sieben Stunden – und das bei bis zu 40 Grad Hitze. „Wir fühlen uns an die dunkelsten Franco-Zeiten erinnert“, schrieb Londons Bürgermeister Boris Johnson im „Daily Telegraph“.

In der Tat hatte Spanien zwischen 1969 und 1982 dreizehn Jahre lang die Grenze zu Gibraltar gesperrt. Die Einreise auf dem Landweg war verboten, die Gibraltarer konnten ihre Enklave nur per Schiff oder per Flugzeug verlassen. Auch Fabian Picardo erinnert sich mit Schrecken an diese Zeit: „Ich dachte, das kommt nie wieder.“ Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hält die Kontrollen für „ganz normal“. „Wir sind dazu verpflichtet, um ungesetzmäßige Machenschaften zu unterbinden“, beschied Rajoy seinem Kollegen David Cameron am Telefon vor einer Woche. Gibraltar gehöre nicht zum Schengen-Raum und Spanien sei verpflichtet, an der Grenze zum britischen Überseeterritorium nach dem Rechten zu sehen. Es gehe dabei um den Kampf gegen Geldwäsche und Schmuggelei.

Madrider Angaben zufolge fanden sich vergangene Woche in einem einzigen Auto Zigaretten im Wert von 11.000 Euro. Die Bewohner der Kronkolonie, wo rote Telefonkabinen und Bobbys das Straßenbild prägen, gelten auch in Großbritannien nicht gerade als Vorzeigebeispiele rechtsstaatlicher Aufrichtigkeit. In der Steueroase tragen Glücksspielunternehmen 15 Prozent zum Inlandsprodukt bei. Freilich sind an der blühenden Wirtschaft des Territoriums auch rund 7000 Pendler aus Spanien beteiligt. Im angrenzenden Bezirk Cádiz liegt die Arbeitslosigkeit bei rund 40 Prozent.

Pikanterweise befindet sich diese Woche eine starke britische Seestreitmacht, angeführt vom Flaggschiff HMS „Bulwark“, auf dem Weg zu Manövern ins Mittelmeer. Was spanische Zeitungen als „unnötige Provokation“ verurteilen, ist den beiden Regierungen zufolge reine Routine. Ausdrücklich wurde in London darauf verwiesen, der Premierminister habe in einem Telefonat mit Rajoy auch den lang geplanten Marine-Besuch angekündigt. Vom spanischen Kollegen seien keine Einwände erhoben worden. Dem Verband unter Leitung von Flottillenadmiral Paddy McAlpine gehören neben dem Truppentransporter „Bulwark“ auch der Hubschrauberträger HMS „Illustrious“ sowie die Fregatten HMS „Montrose“ und HMS „Westminster“ an. Sie werden von sechs Versorgungsschiffen begleitet. Die zum dritten Mal in Folge stattfindende Reise sei „reine Routine“.