Boot mit gut 100 Menschen strandet. Sechs junge Männer ertrinken wenige Meter vor der Küste bei Catania

Rom. Das sommerliche Morgengrauen an der Plaia von Catania an der Ostküste Siziliens hat etwas Archaisches, wenn im Gegenlicht der ersten Sonnenstrahlen kleine Fischerkähne über das glitzernde Meer gen Hafen ziehen, über dem der gewaltige Vulkanberg Ätna aufragt. Aber am Sonnabend im Morgengrauen war es eine „apokalyptische Szene“, die sich da vor den Augen von Dario Monforte abspielte: „Menschen kamen aus dem Meer, rannten über den Strand und ins Hinterland“, erklärte der Mann. „Einige blieben im Wasser, wurden tot an den Strand gespült.“

Verzweifelte Schreie hatten Monforte aus dem Schlaf gerissen. Er ist Betreiber eines Cafés am Hausstrand von Catania, dessen weißer Sand sich kilometerlang erstreckt. Im August ist hier Hochbetrieb, und die Menschen bereiten sich auf Mariä Himmelfahrt vor, den Feiertag am 15. August, der in Italien wie Ostern und Weihnachten gefeiert wird. In diesem Jahr werden die Fahnen der Stadt allerdings auf halbmast wehen. Bürgermeister Enzo Bianco hat den 14. August zum städtischen Trauertag erklärt. Sechs junge Männer, die auf dem Flüchtlingsboot aus Nordafrika an den Strand gekommen waren, ertranken kurz vor dem Ziel. Einige der etwa 100 Insassen des morschen Fischkutters waren 15 Meter vom rettenden Strand entfernt ins Wasser gesprungen, aber sie waren entkräftet und schafften die wenigen Meter nicht. Wenig später lagen sie aufgebahrt am Strand.

Zu einer absurden Situation kam es im Hafen der Stadt. Gleichzeitig mit den Flüchtlingen legten drei riesige Kreuzfahrtschiffe an und spuckten 12.500 Reisende aus, die auf der Suche nach Süden und Sonne nach Sizilien gekommen waren. Es war das erste Mal, dass ein Flüchtlingsboot aus Nordafrika in der Großstadt Catania und nicht im Süden der Insel oder auf der vorgelagerten Insel Lampedusa landet. Das alarmierte Sicherheitskräfte und Politiker. Es dürfte sich bei den Menschen um politische Flüchtlinge aus Syrien und Ägypten handeln. Auf die Frage, ob die Flüchtlinge möglicherweise aus der Türkei weitergeschickt seien, sagte Bürgermeister Bianco: „Das ist nicht auszuschließen. Vor allem die ungewöhnliche Ankunft in Catania macht diese These möglich.“ „Es müssen nationale wie europäische Instanzen helfen, dieses Problem, auch wirtschaftlich, zu lösen“, so Bianco.

Italiens Innenminister Angelino Alfano forderte „eine aktive europäische Zusammenarbeit, denn unsere Küsten sind keine nationalen, sondern europäische Grenzen, und Italien ein Durchreiseland für Migranten“. Vor allem werfe die „Tragödie von Catania ein neues Licht auf die kriminellen Schlepperbanden, bei deren Bekämpfung ganz Europa mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge kooperieren muss“. Die italienische Immigrationsministerin Cécile Kyenge, selbst afrikanische Einwanderin, forderte: „Dieses humanitäre Drama muss endlich umfassend von der europäischen Gemeinschaft angegangen werden.“

In Sizilien ist die Ankunft von Flüchtlingen aus dem Mittelmeerraum für die Bevölkerung keine Neuheit. Seit Jahren landen die Boote mit Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten an den Küsten der Insel. Für die meisten Immigranten sind Lampedusa und Sizilien aber nur Durchgangsstationen: Wer nicht aufgegriffen wird, reist so schnell wie möglich weiter, vor allem nach Deutschland und Frankreich.

Oft werden dramatische Situationen nur dank der Hilfe der Bevölkerung gelöst. In der Stadt Pozzallo am Südostzipfel Siziliens sind in diesem Sommer bereits mehrere Tausend Flüchtlinge angelandet. Pozzallo hat knapp 20.000 Einwohner, musste seit Anfang des Jahres aber mehr als 2000 Flüchtlinge aufnehmen. Staatliche Hilfe fehlt, für die Flüchtlinge stehen nur 180 Betten bereit. Alles andere wird von der Bevölkerung, humanitären und karitativen Organisationen improvisiert. Bürgermeister Luigi Ammatuna sagt: „Wir versuchen zu helfen, wo wir können. Aber es ist für die Stadt nicht immer einfach, die vielen Immigranten aufzunehmen und in den Alltag zu integrieren.“