Die Zahl tschetschenischer Asylbewerber steigt. Unter ihnen sind radikale Islamisten

Berlin. Anfang Juli tauchte im Internet ein islamistisches Propagandavideo aus Tschetschenien auf, das deutsche Sicherheitsbehörden aufhorchen ließ. Zu sehen: Doku Umarov, selbst ernannter Emir des Kaukasus und Anführer der Terrorgruppe Kaukasisches Emirat. Der bullige Tschetschene, oft betitelt als der „russische Bin Laden“, drohte in der Videobotschaft mit Terroranschlägen während der Olympischen Winterspiele im südrussischen Sotschi im Februar kommenden Jahres.

Den deutschen Verfassungsschutz versetzte der Aufruf Umarovs gleich aus zwei Gründen in erhöhte Alarmbereitschaft: Schon heute leben nach Erkenntnissen des Inlandsgeheimdienstes in Deutschland rund 200 Anhänger des tschetschenischen Terroristenchefs. Darunter sind auch gewaltbereite Extremisten, die unter ständiger Beobachtung stehen. „Die führenden Köpfe des Kaukasischen Emirats in Deutschland sind beinahe allesamt vor nicht allzu langer Zeit als Asylbewerber ins Land gekommen“, sagt ein Verfassungsschützer.

Zugleich gehen die Experten davon aus, dass die Zahl solcher Extremisten in Deutschland seit Jahresanfang kräftig gestiegen ist. Denn die Zuwanderung aus dem Kaukasus hat sich dramatisch verstärkt – und damit auch die Zahl der gewaltbereiten Islamisten, an die Umarov seine Botschaft richtete. Im vergangenen Jahr stellten rund 3200 russische Staatsbürger einen Asylantrag in Deutschland, davon schätzungsweise 70 Prozent aus Tschetschenien. Bis Mitte Juli dieses Jahres stieg die Zahl der Asylbewerber aus der Russischen Föderation auf mehr als 10.000. Bis zu 90 Prozent von ihnen sollen Tschetschenen sein.

„Wir müssen beim Zustrom von Asylbewerbern aus Tschetschenien wachsam sein“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). „Unter ihnen können sich auch radikale Islamisten befinden, die nur unter dem Deckmantel des Asylrechts nach Deutschland einreisen. Diese Möglichkeit zu ignorieren wäre völlig naiv.“

Dabei geht es gleichermaßen um die Gefahr von Anschlägen in Russland und Deutschland. In den vergangenen Wochen gab es mehrfach Gespräche zwischen russischen und deutschen Nachrichtendienstlern über mögliche Terrornetzwerke aus dem Kaukasus, die sich in Deutschland etabliert haben. „Keiner hat Interesse daran, dass ein Terroranschlag in Sotschi auf deutschem Boden geplant wird“, kommentiert ein ranghoher Verfassungsschützer diese Zusammenarbeit. Erst im Mai hatte der russische Inlandsgeheimdienst FSB deutsche Sicherheitsbehörden vor möglichen Terroranschlägen durch Tschetschenen gewarnt. In abgehörten Telefonaten hatten Islamisten im Kaukasus und in Syrien in kryptischer Sprache über eine „Operation in Deutschland“ gesprochen.

Eine Person, die möglicherweise in einen solchen Anschlag involviert werden sollte, konnte der Verfassungsschutz schließlich identifizieren: einen 18-jährigen Asylbewerber aus Tschetschenien, der in Berlin-Kreuzberg wohnt. Der Mann wurde beim Besuch von US-Präsident Barack Obama in der Hauptstadt kurzfristig in Gewahrsam genommen.

Begonnen hat diese aktuelle Flüchtlingswelle aus dem Kaukasus mit einer Information, die Zeitungen im vergangenen Jahr in Tschetschenien streuten. Demnach würde jeder Asylbewerber in Deutschland ein „Begrüßungsgeld“ von bis zu 4000 Euro pro Person erhalten. Das Gerücht hält sich seitdem hartnäckig und hat offenbar bereits Tausende von Tschetschenen zur Auswanderung bewegt. „Wir beobachten, dass professionelle Schleusernetzwerke entstanden sind, die ganze Familien innerhalb weniger Wochen in die Bundesrepublik bringen“, sagte ein Vertreter der Sicherheitsbehörden. In jeder Nacht kommen demnach 20 bis 40 kaukasische Flüchtlinge über die Grenze nach Deutschland.

Die Bundespolizei weiß genau, wie die Schleuserbanden ihre Schützlinge in die Bundesrepublik bringen. „Die Hauptreiseroute verläuft mit der Bahn und Bussen über Moskau und Brest nach Terespol in Polen. Von dort erfolgt die Weiterfahrt in der Regel mit Kraftfahrzeugen, Taxis oder Bussen über Warschau nach Deutschland“, heißt es im Bundespolizeipräsidium. Unter den Asylbewerbern befinden sich nach Erkenntnissen von Polizei und Verfassungsschutz nicht nur radikale Islamisten, sondern auch Mitglieder von Mafiabanden.

Schon werden radikale Ideen diskutiert: Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, fordert, dass gefährliche Flüchtlinge aus Tschetschenien in einem Hochsicherheitstrakt untergebracht werden. „In einer zentralen Unterkunft, die rund um die Uhr überwacht wird“, sagte Wendt. Er hält es aus Sicherheitsgründen für geboten, Gewalttäter von friedfertigen Flüchtlingen zu trennen.