Der rechtsextreme Massenmörder, der 2011 in Norwegen 77 Menschen tötete, prahlte vor Gericht. Die mutmaßliche NSU-Terroristin schweigt. Dennoch haben Anders Behring Breivik und Beate Zschäpe vieles gemeinsam.

Am 16. April 2012 schien die ganze Welt auf Anders Behring Breivik zu sehen. Im Saal 250 des Osloer Gerichts saß der Mann, der am 22. Juli 2011 den Regierungssitz der norwegischen Hauptstadt mit einer Autobombe in die Luft gesprengt hatte und anschließend auf einer kleinen Insel im 30 Kilometer entfernten Tyrilfjord 69 junge Menschen ermordete, die dort an einer Jugendfreizeit der norwegischen Jungsozialisten teilnahmen. Alle wollten wissen: Was treibt einen Menschen zu solch einer bestialischen Tat? Der drei Monate dauernde Prozess hat darauf keine abschließende Antwort geben können. Zwei Gutachterteams kamen zu gegenteiligen Schlüssen: Während die ersten Sachverständigen von einer Unzurechnungsfähigkeit des Angeklagten ausgingen, hielten zwei weitere Psychiater ihn für schuldfähig – auch wenn er an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden sollte.

Breivik sprach viel über seine Motive, seine rechtsextreme menschenverachtende Ideologie und seinen wahnhaft wirkenden Islamhass. Schwer erträglich wurden seine Tiraden, wenn er auf Nachfrage sagte, er bedauere lediglich, nicht noch mehr Menschen erschossen zu haben. Regungslos verharrte er auf seinem Stuhl, als die Anklage die Namen der Opfer und ihre erlittenen Schusswunden an diesem ersten Prozesstag verlas; kein Augenzwinkern verriet, ob er überhaupt zuhörte.

Doch als sein Propagandafilmchen eingespielt wurde, das er auf der Internet-Plattform YouTube veröffentlichte, weinte Breivik hemmungslos, so ergriffen war er von seinem eigenen Machwerk. Lächerlich wirkte das, auch empörend und verabscheuungswürdig. Aber genau diese Szene legte den Blick frei auf seinen Abgrund: Breivik wollte diese Taten verüben, er hatte offenkundig Spaß daran, wild schreiend über die Insel zu laufen und Menschen zu ermorden. „Heute werdet ihr sterben, Marxisten“, brüllte er, während er um sich ballerte. In Todesangst rannten die Jugendlichen um ihr Leben, flüchteten in das Wäldchen, sprangen ins eiskalte Wasser, versteckten sich in Felsspalten.

Breiviks bizarr großes Ego erlaubte es ihm, sich als Herr über Leben und Tod aufzuspielen, ein selbst ernannter „Ritter des Tempelordens“, der sich kurz vor seiner Festnahme noch selbst bei der Polizei telefonisch als „Kommandeur Breivik“ meldete.

Was war nun zuerst da: Ideologie oder Mordlust? Braucht der Terrorist ein Motiv, um seine Taten zu rechtfertigen? Oder sind sie das Ergebnis einer radikalisierten, grotesk verzerrten Analyse einer Wirklichkeit, die für den Attentäter so nicht hinnehmbar ist, für ihn also eine radikale Reaktion auf die Welt?

Eine „Schwester im Geiste“, so hat Breivik Zschäpe in einem Brief an sie genannt. Die mutmaßlich letzte Überlebende der deutschen Terrorzelle NSU hat diese „Verwandtschaft" allerdings in einem Schreiben an einen anderen Bekannten von sich gewiesen. Und doch hat Breivik womöglich mehr recht, als Zschäpe lieb sein dürfte. Im Gegensatz zu ihm schweigt sie zwar vor Gericht über ihre Rolle. Ihr Auftreten im Prozess weist allerdings einige frappierende Parallelen zu Breivik auf. So bemüht sich Zschäpe stets, einen unbefangenen, gar unbeteiligten Eindruck zu machen, so als ginge sie das Verfahren gar nichts an. Als es um die Darstellung eines Opfers ging, sah sie kaum zu der Wand, auf die Bilder vom Tatort projiziert wurden. Sie tippte einfach weiter auf ihrem Laptop herum.

Am vergangenen Donnerstag aber setzte sie extra ihre Brille auf, um den Lichtbildervortrag eines Kripo-Beamten zu verfolgen. Der analysierte nämlich die Reste der Zwickauer Wohnung, in der das Trio zuletzt wohnte und die Zschäpe nach den Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft in Brand gesteckt haben soll. Sobald das Interesse ihr oder ihrem Umfeld gilt, schaltet sie sich ein, wirkt interessiert. Noch einmal den Impfpass ihrer Katze „Lilly“ sehen, noch einmal den Keller, in dem die beiden Uwes auf Holzplatten schossen.

Die Opfer aber und die Hinterbliebenen dürfen von dieser Frau keine Reue erwarten, Nicht mal eine Erklärung. In dem 26-seitigen Brief, den Zschäpe an den Rechtsextremisten Ronny S. schrieb, weint sie sich seitenlang über das öde Knastleben aus. Was in den Jahren zuvor passierte, warum sie nun im Gefängnis sitzt, darüber verliert sie kein Wort.

Was die Gruppe zu sagen hatte, steckt in dem zynischen Bekennervideo, das auf verschiedene DVDs gepresst und von Zschäpe als letzte Tat des Trios an verschiedene Adressen verschickt wurde. Da erst wurde bekannt, dass es den NSU gab. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordeten ihre Opfer ja nicht nur, sie fotografierten sie auch und verhöhnten sie in dem Zeichentrickfilm anschließend. Wie Breivik gelang es auch ihnen, jegliches Mitgefühl auszuschalten und anstelle dieser urmenschlichen Regung jenen unbedingten Vernichtungswillen hervorzubringen, den man braucht, um Menschen mitten ins Gesicht zu schießen. Schon der aufgeblasene Name Nationalsozialistischer Untergrund suggeriert die Existenz einer mächtigen Organisation, die eine Gefahr für den Bestand der Gesellschaft sein könnte.

Aber gerade der Zusammenschluss zur Zelle wirkt als Katalysator für die Tat. „Der Eintritt in die Gruppe, das Aufsaugen ihrer Norm und die Knarre am Gürtel entwickeln ihn dann schon, den ›neuen‹ Menschen“, hat der RAF-Aussteiger Volker Speitel in einem Interview 1980 über sein Leben als Terrorist gesagt. „Er ist Herr über Leben und Tod geworden, bestimmt, was gut und böse ist, nimmt sich, was er braucht und von wem er es will; er ist Richter, Diktator und Gott in einer Person – wenn auch für den Preis, dass er es nur für kurze Zeit sein kann“, so Speitel.

Von der „Gewaltlockung“ eines „entfremdeten, authentischen Lebens“ spricht der Hamburger Sozialforscher Jan Philipp Reemtsma in einem viel beachteten Aufsatz von 2005. Reemtsma brandmarkt die RAF als „Gruppe Desperados, die sich in Brutalität und Vulgarität gefielen“ und der so „die Aura des Rätsels“ zuwachsen konnte.

Aber die Täter umgibt eben kein Rätsel. Sie entschieden sich, zu töten, sie gefielen sich in der Rolle des politischen Mörders – und so verhalten sie sich vor Gericht. Der eine, Breivik, spricht darüber, Zschäpe nicht. Ihre Empathie haben beide vor langer Zeit aufgegeben. Sie haben keine Gründe, das zu ändern – andernfalls müssten sie sich ja der Zumutung aussetzen, ein schrecklich falsches Leben gelebt zu haben. Neu ist diese Erkenntnis vielleicht nicht. Aber wenn man sich an Breivik erinnert und Beate Zschäpe auf der Anklagebank sieht, ist sie immer wieder aufs Neue erschütternd.