Anlass war Hochzeit eines Paares, das sich bei der Demo im Gezi-Park in Istanbul kennengelernt hatte

Istanbul. Eigentlich ein harmloser Vorgang: Ein Demonstranten-Pärchen in Istanbul lädt öffentlich zur Hochzeitsfeier in den Gezi-Park. Dann die unglaubliche Reaktion: Die Polizei sperrt den Park, der zu einem Symbol der regierungsfeindlichen Proteste in der Türkei geworden ist – und setzt erneut Wasserwerfer und Tränengas ein.

Das ist die neueste Episode, bei der die türkische Polizei in Istanbul erneut gewaltsam gegen friedliche Demonstranten vorgegangen ist. Polizisten setzten am Sonnabendabend in der Umgebung des zentralen Taksim-Platzes in der Millionenmetropole Wasserwerfer, Tränengas und Plastikgeschosse ein, wie Augenzeugen berichteten. An den neuerlichen Protesten gegen die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan beteiligten sich Hunderte Menschen. Die Polizei nahm mehrere Demonstranten fest.

Am frühen Sonnabendabend sperrte die Polizei den Gezi-Park am Taksim-Platz und drängte die anwesenden Menschen aus dem Areal hinaus. Auslöser war eine geplante öffentliche Hochzeitsfeier eines Pärchens in dem Park, der zum Symbol der Proteste wurde. Das Paar hatte sich bei den seit Ende Mai andauernden Protesten kennengelernt und heiratete am Wochenende. Auf einigen Bildern der Braut war zu sehen, dass sie neben einem weißen Hochzeitskleid einen weißen Helm und eine mit Blumen geschmückte Gasmaske trug. Der Helm des Bräutigams war rot.

Die Wasserwerfer schossen mit Wasser, das mit einer Chemikalie versetzt ist, die ähnlich wie Tränengas wirkt. Demonstranten und Passanten klagten über Beschwerden an den Augen und in den Atemwegen. Offenbar können Wasserwerferpiloten die unbekannte Substanz auf Knopfdruck hinzumischen. Klares Wasser färbt sich dann orange, Wasser und Sprühnebel rufen teils schwere Reizungen hervor.

Polizisten verfolgten Demonstranten bis in den späten Abend in Seitengassen der Einkaufsstraße Istiklal Caddesi, die zum Taksim-Platz führt. In der Fußgängerzone waren zu Beginn des Wasserwerfereinsatzes auch zahlreiche Passanten unterwegs. Ausländische Touristen reagierten entsetzt.

Insgesamt sind die Proteste in der Türkei etwas abgeebbt. Sie haben sich an Regierungsplänen entzündet, den Gezi-Park zu bebauen, richten sich inzwischen aber vor allem gegen den autoritären Regierungsstil. Bei den Protesten kamen insgesamt mindestens fünf Menschen ums Leben, Tausende wurden verletzt.

Das harte Vorgehen gegen Demonstranten hat die türkische Regierung nach einer Umfrage Sympathiepunkte bei den Wählern gekostet. Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) käme im Falle einer Parlamentswahl nur noch auf 44,1 Prozent, zitierte die Zeitung „Hürriyet Daily News“ aus einer Umfrage des Meinungsinstituts Sonar. Im Februar 2012 seien es noch 53,2 Prozent und im vergangenen November 47,3 Prozent gewesen.