Mursi-Anhänger und -Gegner stehen sich unversöhnlich gegenüber. Auch im Fastenmonat Ramadan kommt das Land nicht zur Ruhe

Kairo. „Mit denen da drüben wollen wir nichts mehr zu tun haben“, sagen Tamer und Tarek auf dem Tahrir-Platz und meinen damit die Muslimbrüder, die sich im östlichen Stadtteil Nasr City versammelt haben und für die Rückkehr Mohammed Mursis ins Präsidentenamt demonstrieren. An diesem Mittwoch ist es zwei Wochen her, seit Ägyptens erster frei gewählter Präsident abgesetzt wurde. Während die Anzahl der Demonstranten im Lager der Mursi-Anhänger und deren Entschlossenheit auszuharren wächst, schrumpft die Zahl seiner Gegner am Tahrir-Platz empfindlich. Nur noch selten ist der „Platz der Befreiung“ gefüllt, der mittlerweile zum Synonym des ägyptischen Aufbruchs geworden ist.

Heute aber ist es anders, die Tamarod-Bewegung hat zum Fastenbrechen geladen. Vor Beginn des Ramadans, der muslimischen Fastenzeit, hatte die Gruppe Millionen Unterschriften gegen Mohammed Mursi gesammelt und damit die Massenproteste gegen die Regierung der Muslimbrüder ausgelöst. Es ist Ramadan und erst nach Sonnenuntergang darf gegessen und getrunken werden. Tamer und Tarek sind gekommen, um ihre Tamarod-Mitstreiter mal wieder versammelt zu sehen und sich mit ihnen auszutauschen. Über den ganzen Platz sind lange Holztische und Bänke verteilt.

Es bilden sich lange Schlangen vor den riesigen Bottichen, die die Speisen enthalten. Ramadan ist in Ägypten der vielleicht wichtigste Monat des Jahres. Denn dann muss niemand hungern. Überall in Kairo gibt es Iftar-Tafeln, die von Prominenten, Geschäftsleuten, hochstehenden Politikern oder Organisationen finanziert und ausgerichtet werden. Jeder ist willkommen und darf sich satt essen. Das Gedenken an die Armen hat höchste Priorität im heiligen Fastenmonat. Neueste Zahlen zeigen, dass seit dem Ausbruch der Revolution in Ägypten die Armut ständig gewachsen ist. Wie das Zentrum für wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Auftrag der Uno herausfand, leben derzeit 40 Prozent der fast 84 Millionen Nil-Anwohner von weniger als zwei Dollar pro Tag. Im Jahre 2011 waren es noch 25,2 Prozent.

Ramadan soll aber auch ein Monat der persönlichen Einkehr und Reflexion sein und alle Muslime im Glauben versöhnen. Doch von Versöhnung ist derzeit am Nil nichts zu spüren. Verachtung, ja sogar Feindschaft für die jeweils andere Seite ist in beiden Lagern die vorherrschende Stimmung. „Mit denen setzen wir uns doch nicht an einen Tisch“, sagt Tamer auf die Frage nach einer künftigen Kooperation mit den Muslimbrüdern. „Nicht mal zum Iftar würde ich zu denen gehen“, antwortet Tarek. Die da drüben in Nasr City hätten entweder den Verstand verloren oder eine Gehirnwäsche bekommen.

Nacht für Nacht gibt es derzeit Auseinandersetzungen zwischen Mursi-Anhängern und den Sicherheitskräften. Sie blockieren Nilbrücken oder den Ramses-Hauptbahnhof, werfen Steine, Feuerwerkskörper und Molotowcocktails. Polizei und Armee kontern mit Tränengas und Gummigeschossen. Es gibt Tote und Verletzte. Allein in der Nacht zu Dienstag sind sieben Menschen getötet und 250 verletzt worden.

Seit Anfang Mai waren Tamer und Tarek und viele andere unterwegs und haben Unterschriften im ganzen Land gegen Mohammed Mursi und die Muslimbrüder gesammelt. „Wir haben die Militärs überredet, uns zu helfen“, sagen sie, „weil es Volkes Wille war.“ „Der politische Islam ist zu Ende“, frohlockt Sherif-Joseph Rizk über den Verlauf der Revolution. Als Aktivist der ersten Stunde, ist der 37-jährige Ägypter nach dem Sturz Mursis wieder aus der Versenkung aufgetaucht. „Ich war in eine tiefe Depression gefallen, nachdem die Muslimbrüder die Macht übernommen hatten“, gibt er zu, „habe gedacht, wir müssten jetzt mindestens zehn Jahre warten, bis sich der Wind dreht.“ Er ist sich sicher, dass eine Rückkehr zum Islamismus der Muslimbrüder nicht mehr möglich ist. „Die Leute haben es getestet und nicht gemocht“, resümiert er. Der Islam sei nicht mehr die Lösung für Ägypten.