Übergangspräsident Adli Mansur stellt Fahrplan für die nächsten Monate vor. Muslimbrüder lehnen ihn ab und rufen zu weiteren Protesten auf

Kairo. Der ägyptische Übergangspräsident Adli Mansur will das Land mit baldigen Parlamentswahlen und einer überarbeiteten Verfassung aus der Staatskrise führen. Der Interimsnachfolger des gestürzten Islamisten Mohammed Mursi legte einen detaillierten Zeitplan vor, demzufolge die Übergangsphase nach maximal 210 Tagen abgeschlossen sein soll – und spätestens im Februar eine neue Volksvertretung zusammentreten wird. Der Wirtschaftswissenschaftler Hasem al-Biblaui ist zum neuen Ministerpräsidenten ernannt worden. Oppositionsführer Mohammed al-Baradei soll den Posten des Vizepräsidenten übernehmen.

Mit seiner Ankündigung will Mansur das bevölkerungsreichste arabische Land wieder in ein ruhiges Fahrwasser führen, nachdem am Montag bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Mursi-Anhängern mehr als 50 Menschen getötet und mehr als 430 verletzt wurden. Mansur ordnete eine Untersuchung der blutigen Zusammenstöße an und skizzierte dann im Zeitplan die geplante Machtübergabe an eine demokratisch legitimierte Staatsführung.

Demnach soll in den kommenden zwei Wochen zunächst ein Expertenausschuss gebildet werden, der dann binnen drei Monaten gemeinsam mit einem Gremium aus Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppen die islamistisch geprägte Landesverfassung überarbeiten soll. Den Entwurf wird der Übergangspräsident dem Volk anschließend in einem Referendum zur Abstimmung vorlegen. Nehmen die Ägypter diese Verfassung an, dürften sie spätestens zweieinhalb Monate danach ein neues Parlament und direkt nach dessen Auftaktsitzung auch ein neues Staatsoberhaupt wählen. Bis dahin bliebe die Gesetzeshoheit beim Übergangspräsidenten.

Mansurs 33 Artikel starkes Dekret sieht zudem vor, dass der künftige Staatschef die exekutive Gewalt in Ägypten ausübt und die Justiz unabhängig ist. Ein ranghohes Mitglied der Muslimbrüder fasste daraufhin die Kritik seiner Partei in deutliche Worte: „Das Verfassungsdekret eines von Putschisten nominierten Mannes wirft das Land wieder auf den Nullpunkt zurück“, schrieb Essam al-Erian auf seiner Facebook-Seite.

Die Muslimbruderschaft, aus der Mursi hervorgegangen war, rief wegen des „Massakers“ an ihren Anhängern – 42 Todesopfer seien Parteisympathisanten gewesen – zu einem landesweiten „Aufstand des ägyptischen Volkes“ auf. „Jede Provinz organisiert heute eigene Begräbniszeremonien und Demonstrationen“, sagte ein Parteisprecher. Allein vor der Moschee Rabaa al-Adawija in Kairo versammelten sich wieder Tausende Anhänger Mursis zu Protesten. Nach der Gewalt hatten sich Islamisten und staatliche Sicherheitskräfte gegenseitig die Schuld für die blutigen Zusammenstöße vor dem Sitz der Republikanischen Garde in Kairo gegeben.

Klar ist für die Islamisten auch, dass die Sicherheitskräfte prinzipiell gegen sie seien. „Wir wissen, dass Armeechef al-Sisi sein Auge auf den Präsidentensessel hat“, sagte ein Mitglied der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei am Demonstrationsplatz der Mursi-Anhänger in Nasr City. „Die Armee ist hungrig nach Macht.“ Als die Militärführung den Fahrplan für die Zeit nach Mursi verkündete, habe man die Muslimbrüder nicht darüber informiert, sagt der Vizepräsident der Muslimbruderpartei Essam al-Erian, der nach dem Sturz Mursis für einige Stunden in Haft genommen, aber inzwischen wieder freigelassen wurde. Er glaubt den Militärs nicht, dass sie sich nicht noch einmal politisch engagieren wollen. Interimspräsident Mansur sei lediglich deren Marionette, so tönte es aus dem Lager der Muslimbrüder. Erian und seine Partei lehnen deshalb jegliche Zusammenarbeit mit Mansur ab.

Auch die radikale Gamaa Islamija will nichts mit dem Fahrplan zu tun haben. Die Salafisten dagegen, die noch am Vortag aus Protest wegen der Todesopfer bei den Zusammenstößen mit der Armee den nationalen Dialog zur Bildung einer Übergangsregierung verlassen hatten, sind jetzt offensichtlich wieder bereit, an den runden Tisch zurückzukehren.

Ein Problem für alle aber bleibt die Republikanische Garde der Armee. Vor deren Hauptquartier in der Nähe des Pro-Mursi-Camps spielten sich die blutigen Szenen vom Montagmorgen ab. Mit mehr als 24.000 Mitgliedern ist diese Spezialeinheit bestens ausgestattet und eine der wichtigsten Einheiten der Armee. Sie verfügt über modernste Waffen und Geschütze und wird überall dort eingesetzt, wo Unruhen vermutet werden. Ausgerüstet mit Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken sind die ganz in Schwarz gekleideten Männer auch am Tahrir-Platz zum Einsatz gekommen – schon unter Mubarak.

Mit äußerster Brutalität gingen sie gegen Demonstranten vor, als Ende 2004 die erste Protestbewegung – Kifaja – gegen das Regime aufstand und am Tahrir-Platz harmlose Banner ausbreiten wollte. Die Initiatoren der Kifaja-Bewegung von damals haben jetzt die Tamarod-Kampagne ins Leben gerufen und die Unterschriften für Mursis Sturz gesammelt. Den Hass der Muslimbrüder in Nasr City auf die Republikanische Garde können manche am Tahrir-Platz deshalb verstehen.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) hat vor einer „Talibanisierung“ Ägyptens gewarnt, sollte dort die Einigung der Gesellschaft scheitern. Schon jetzt litten vor allem christliche Minderheiten unter islamistischer Gewalt, sagte der Vorstandssprecher der IGFM, Martin Lessenthin.