Europaparlament will die geplante Pflicht weiter verschärfen und bringt entsprechenden Änderungsantrag ein

Brüssel. Gerade vor ein paar Monaten beschloss die EU-Kommission, kleinen und mittleren Unternehmen entgegenzukommen. Sie will Rechtsvorschriften entrümpeln und vereinfachen, die für Konzerne handhabbar sind, für Mittelständler in Europa aber oft eine Überforderung darstellten oder zumindest einen Grund, sich an dieser oder jener EU-weiten Ausschreibung nicht zu beteiligen. „Vorfahrt für KMU“ nennt sich der Grundsatz, an dem Regulierung künftig ausgerichtet werden soll. Ein Grundsatz, für den das Europaparlament nun eine ganz eigene Auslegung findet.

Die beiden Berichterstatterinnen des Parlaments zum Vorhaben einer gesetzlichen Frauenquote in der EU nämlich „erkennen an, wie wichtig kleine und mittlere Unternehmen als Rückgrat der Industrie in Europa sind“, so heißt es im Bericht der beiden Parlamentarierinnen Evelyn Regner und Rodi Kratsa-Tsagaropoulou. „Somit sollten sie die Avantgarde im Kampf um Geschlechtergerechtigkeit bilden und daher in die Richtlinie eingeschlossen werden.“ Mittelständler sollen also Europas Vorreiter sein, wenn es um die Besetzung von Führungspositionen mit Frauen geht.

Den Bericht wollen sie am Dienstag dem Rechts- und dem Frauenrechteausschuss des Europaparlaments vorstellen. Er verschärft die entsprechenden Pläne von EU-Justizkommissarin Viviane Reding, indem er ihren Anwendungsbereich entscheidend erweitert. Reding will den Frauenanteil in Aufsichtsräten bis 2020 auf 40 Prozent steigern. Das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht – heute fast überall: Frauen – soll bei Besetzungsrunden bevorzugt werden.

In Redings Gesetzentwurf trifft die Quotenpflicht aber nur börsennotierte und öffentliche Unternehmen. Diejenigen bis 250 Mitarbeiter und einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro nahm Reding explizit aus: „Diese Verordnung soll nicht für sehr kleine, kleine und mittlere Unternehmen gelten“, heißt es in Artikel 3 ihres Textes. In ihren Änderungsanträgen zum Kommissionsvorschlag schreiben die Abgeordneten Regner und Kratsa-Tsagaropoulou: „gelöscht“ anstelle dieses Paragrafen. Ausnahmen werden nicht gemacht.

Mit diesem Federstrich sind potenziell – sofern sie Aktiengesellschaften sind oder werden wollen – auf einmal die fast 21 Millionen Firmen betroffen, die die EU-Kommission als kleine und mittlere führt. Erst die Masse macht’s: „Alle börsennotierten Unternehmen sollten die Ziele der Richtlinie erfüllen, angesichts ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ökonomischen und sozialen Verantwortung“, heißt es zur Begründung in dem 22-seitigen Dokument aus dem Parlament.

Das Zusammenwirken der EU-Institutionen folgt einem wiederkehrenden Muster: Die EU-Kommission, die das alleinige Vorschlagsrecht für europäische Gesetzgebung hat, testet für gewöhnlich ihren Spielraum vor der Präsentation eines Vorhabens aus. Bei argen Bedenken aus den Mitgliedstaaten entschärft sie hie und da ihre ersten Entwürfe – und das Europaparlament packt in seiner Stellungnahme alles wieder drauf, oft auch noch mehr. Dann verhandeln die zuständigen Berichterstatter mit den Vertretern der EU-Länder. Das ist nun der nächste Schritt.

Die künftigen Verhandlungspartner liegen sehr weit auseinander. Deutschland hielt schon wenig bis gar nichts von der EU-Quote, wie Reding sie sich vorstellt – schon „aus grundsätzlichen Erwägungen“, wie die Bundesregierung mitteilte: Die EU sei dafür nicht zuständig. Berlin sucht Verbündete für eine Ablehnung der Initiative. Sie fand sie nach Auskunft von EU-Diplomaten auch: in dem in fast jeder EU-Regulierung gegenüber skeptischen Großbritannien etwa. Aber auch mehr als halb Osteuropa ist gegen die Quote.

Eine weitere Verschärfung des Kommissionsvorschlags stellt die Forderung der Abgeordneten nach zusätzlichen Sanktionsmöglichkeiten dar. Redings Text sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten Strafen für Verstöße festlegen müssten, Geldbuße etwa oder auch die Annullierung einer Aufsichtsratswahl. Das Parlament fügte eine weitere Waffe ein, die der Ausweitung der Quotenpflicht auf Mittelständler besondere Schärfe verleiht: den „Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen“. Weil Ausschreibungen der öffentlichen Hand allgemeinem Interesse dienten, müssten Firmen ausgeschlossen sein, die die Frauenquote nicht umsetzen. Regner ist eine österreichische Sozialdemokratin, Kratsa-Tsagaropoulou eine Christdemokratin aus Griechenland. Was sie eint, ist der Glaube daran, dass die Wirtschaft mit mehr Frauen in verantwortlichen Positionen eine bessere wäre: Die Präsenz von Frauen in Aufsichtsräten verbessere die Unternehmensführung und „spiegelt besser Realitäten von Gesellschaft und Verbrauchern“, wie es in einem Änderungsantrag heißt. Was sie weiter eint, ist der Ehrgeiz, diese Überzeugung in Gesetzesform zu gießen – nicht nur für Aufsichtsräte, auf die sich der vorliegende Richtlinienvorschlag bezieht.

Neu eingefügt wurde im Parlament eine Passage, die die Tür öffnet für eine künftige Quoten-Regulierung auch für die Belegschaft: „Maßnahmen sollten ergriffen und verstärkt werden, Karrierefortschritt für Frauen auf allen Managementebenen zu ermöglichen.“