Kerim Pamuk, 42, Kabarettist und Autor, lebt seit 1979 in Hamburg: Mein Eindruck ist, dass Erdogan ein Exempel statuieren will, um zu beweisen, wer der Herr im Land ist. Erstmals in seiner Regierungszeit gibt es einen offenen Konflikt, und mein Gefühl sagt mir, dass er keinen Deut zurückstecken wird, sondern in Kauf nimmt, dass es noch mehr Tote gibt, bis die letzte Protestwelle verebbt ist. Ich wünsche mir einerseits sehr, dass die Demonstranten nicht aufgeben, andererseits hoffe ich auf ein Ende der Gewalt. Um zu einer Lösung oder wenigstens Annäherung zu gelangen, müssten sich beide Seiten aufeinander zubewegen. Ich sehe aber kein Zeichen von Erdogan, dass er zu Kompromissen bereit ist. Er empfängt zwar Protestler, lässt aber vor Ablauf der gesetzten Frist den Taksim-Platz gewaltsam räumen. Daraus spricht der pure Zynismus. Ändern könnte sich Erdogans Einstellung nur, wenn die EU ernsthaft Druck ausüben würde. Aber das passiert nicht, es wird stattdessen Betroffenheit ausgedrückt. Wenn die EU ihm sein Verhalten durchgehen lässt, wäre das ein schlimmes Zeichen. Ich fürchte, dass genau das passieren wird.