Bericht bringt Gastgeber bei G8-Gipfel in Nordirland in Erklärungsnot. Premierminister schweigt

London. Zu Beginn des G8-Gipfels in Nordirland hat ein Abhörskandal die britische Regierung als Gastgeberin des Treffens der acht führenden Industrienationen in Erklärungsnot gebracht. Wie der „Guardian“ berichtete, spionierte der britische Geheimdienst vor vier Jahren Delegierte eines in London stattfindenden G20-Treffens aus. Agenten hätten ausländische Delegierte sogar in eigens präparierte Internetcafés gelotst, um sie auszuforschen. Der „Guardian“ stützt sich auf Dokumente des Enthüllers des US-Spähprogramms Prism, Edward Snowden. Ein Opfer der Aktionen beim G20-Gipfel im April 2009 und einem Treffen der Finanzminister der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer im September 2009 soll demnach der türkische Finanzminister gewesen sein. Auch die Delegation aus Südafrika, das G8-Beobachterstatus hat, sei gezielt abgehört worden.

Die Anweisungen für die Spitzeleien sollen von ranghoher Stelle aus der Regierung des damaligen britischen Labour-Premierministers Gordon Brown gekommen sein. Sein Nachfolger David Cameron lehnte eine Stellungnahme ab. „Wir kommentieren nie Sicherheits- oder Geheimdienstangelegenheiten, und ich werde damit jetzt nicht anfangen“, sagte Cameron in Sky News.

Die Abhöraktion wurde den Angaben zufolge vom Government Communications Headquarters (GCHQ), dem britischen Pendant zum US-Geheimdienst National Security Agency (NSA), gesteuert. In als streng geheim eingestuften GCHQ-Dokumenten ist laut „Guardian“ von „bahnbrechenden Überwachungsmöglichkeiten“ die Rede. Demnach war 2009 ein Team von 45 Analysten rund um die Uhr damit beschäftigt, in Echtzeit die abgegriffene Kommunikation auszuwerten und weiterzuleiten. In zwei GCHQ-Papieren sei ausdrücklich die Rede davon, dass Informationen direkt an Minister übermittelt worden seien. Des Weiteren heißt es in dem Zeitungsbericht, die GCHQ habe Informationen von der NSA über einen Abhörversuch erhalten, dessen Ziel ein Satellitentelefongespräch des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew gewesen sei.

In Briefingunterlagen des GCHQ-Chefs Iain Lobban vom 9. Januar 2009 seien die Ziele des Lauschangriffs dargelegt. Sie legen dem Bericht zufolge nahe, dass die britische Regierung offenbar die Ergebnisse des G20-Gipfels beeinflussen wollte. „Ziel der GCHQ ist sicherzustellen, dass die für die von der Regierung Ihrer Majestät erwünschten Ergebnisse ihres G20-Vorsitzes relevanten Geheimdienstinformationen die Kunden bedarfsgenau erreichen sowie auf eine Weise, die ihnen eine vollumfänglichen Gebrauch erlauben.“

Details über das US-Programm Prism, bei dem der US-Geheimdienst NSA die Nutzerdaten großer Internetkonzerne wie Google, Facebook und Microsoft auswertet, waren kürzlich vom „Guardian“ und der „Washington Post“ veröffentlicht worden. Snowden, der sich selbst als Quelle outete, ist in Hongkong untergetaucht. China trat Vorwürfen entgegen, Snowden habe im Auftrag Pekings gehandelt. Der frühere US-Vizepräsident Richard Cheney hatte Snowden zuvor als „Verräter“ bezeichnet und entsprechende Andeutungen gemacht.