G8-Gipfel im nordirischen Eniskillen streitet über Syrien. USA und EU verkünden Abschluss eines Freihandelsabkommens

Enniskillen/Moskau. Die Szenerie ist beschaulich im nordirischen Enniskillen. Doch die Idylle täuscht, denn das Golfhotel an einem kleinen See bildet nur den Hintergrund für eine offene Konfrontation, die sich zu Beginn des G8-Gipfels unter britischer Präsidentschaft abzeichnet. Die acht größten Industrienationen treffen sich, und Russlands Präsident Wladimir Putin reist völlig isoliert an. Putin bleibt seiner Linie in der Syrien-Frage treu, auch wenn er damit allein gegen die G7-Staatschefs auftritt. Er zeigte sich bereits am Abend vor dem G8-Gipfel kampflustig. Nach dem Treffen mit dem britischen Premierminister David Cameron warnte er den Westen vor Waffenlieferungen an syrische Rebellen. „Sie können wohl nicht abstreiten, dass man keine Waffen an Leute liefern soll, die nicht nur ihre Feinde töten, sondern auch deren Körper aufschneiden und die inneren Organe vor laufenden Kameras essen“, sagte Putin. „Wollen Sie diese Leute unterstützen?“ Zugleich verteidigte er erneut die russischen Waffenlieferungen an Assad; damit verstoße Russland nicht gegen das internationale Recht.

Moskau verharrt in seiner Position und hat nicht vor, sie zu ändern. Im Uno-Sicherheitsrat hat Russland zusammen mit China die Resolutionen zu Syrien immer wieder verhindert. Zum einen steht Moskau an der Seite des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, weil er zu den letzten Verbündeten Russlands im Nahen Osten gehört. Die Militärbasis in Tartus sowie wirtschaftliche Beziehungen und militärische Aufträge würden mit dem Fall Assads verloren gehen. Zum anderen betrachtete Moskau den Bürgerkrieg in Syrien als einen fremdgesteuerten Konflikt, in dem es vor allem um den Einfluss im Nahen Osten geht. Sich selbst sieht Russland immer noch vor allem als ideologischen Gegenpol zu den USA und zum Westen. Seit Putin regiert, stellt Russland die Weltordnung und Werte des Westens konsequent infrage und präsentiert sich als Alternative. Innenpolitisch kommt diese Haltung sehr gut an. Putin demonstriert gern, dass er sich nicht vom Westen unter Druck setzten lässt.

„Russland muss in dem ganzen Prozess eine Rolle spielen, ansonsten wird es zu einer Befriedung in Syrien nicht kommen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrer Anreise. Frankreichs Staatschef François Hollande machte aus seiner Verärgerung über Putin keinen Hehl. „Wie kann man es zulassen, dass Russland das Assad-Regime weiter ausrüstet, während die Opposition nur sehr wenige Waffen bekommt und massakriert wird?“, sagte er in Lough Erne. Der Gipfel müsse Putin überzeugen, dass die Friedenskonferenz in Genf für einen politischen Ausweg notwendig sei.

Der Streit über Syrien ließ am ersten Gipfeltag die eigentlichen Schwerpunkte Camerons in den Hintergrund treten, den Handel und den Kampf gegen Steuerbetrug. Bevor die acht Staats- und Regierungschefs sich am Abend in Enniskillen mit der Syrien-Frage beschäftigen, hatten US-Präsident Barack Obama und Cameron zunächst aber einen Erfolg zu vermelden. Die beiden Regierungschefs gaben am Montag zusammen mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy den feierlichen Startschuss für Verhandlungen über ein umfassendes EU-US-Freihandelsabkommen.

Ziel des transatlantischen Abkommens ist die größte Freihandelszone der Welt

Cameron sprach am Rande des G8-Gipfels im nordirischen Lough Erne von einem „historischen Abkommen“ zwischen den USA und Europa. Das Ziel ist die größte Freihandelszone der Welt. Zölle und andere Handelshemmnisse sollen fallen und damit der Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks Auftrieb geben. Obama kündigte an, die erste Verhandlungsrunde werde kommenden Monat in Washington stattfinden. Dass die Regierungschefs zum Auftakt des hochkontroversen Gipfels einen positiven Akzent setzen konnten, haben sie einem Verhandlungsmarathon der 27 europäischen Handelsminister zu verdanken.

Dabei hätte die französische Filmindustrie beinahe den feierlichen Startschuss verhindert. Denn die Franzosen drohten mit einem Veto für den Fall, dass der Kulturbereich und audiovisuelle Medien nicht von den Verhandlungen ausgeschlossen würden. Paris fürchtet um seine staatliche Filmförderung, die einer Freihandelszone zum Opfer fallen könnte. Mitgliedstaaten wie Deutschland pochten indes darauf, ohne Vorbedingungen in die Gespräche mit den Amerikanern zu gehen. In Regierungskreisen wurde die Sorge geäußert, die USA könnten sonst ihrerseits Bereiche ausschließen.

Von Anfang an war klar, dass sich eine Seite würde bewegen müssen, die EU-Gesetze sehen nämlich Einstimmigkeit für die Erteilung eines Mandats vor. Am Ende blieben die Franzosen stur – und die verabschiedete Erklärung macht ihnen folgendes Zugeständnis: Die EU-Kommission darf im Namen der Mitgliedsländer verhandeln. Aber wenn Regelungen den Kulturbereich betreffen, muss sie die EU-Mitgliedsstaaten konsultieren und ein überarbeitetes Mandat einholen. Diese Einschränkung tat der feierlichen Stimmung auf der Pressekonferenz keinerlei Abbruch. Kein Wunder, können es sowohl USA als auch die Europäische Union kaum erwarten, in den Genuss der erwarteten Vorteile zu kommen. Einer Studie des Center for Economic Policy Research zufolge beliefe sich der Profit für die EU-Wirtschaft auf 119 Milliarden Euro pro Jahr. Immerhin soll der Wegfall von Zöllen und Handelsschranken 545 Euro mehr für einen durchschnittlichen EU-Haushalt bedeuten. Auch die Amerikaner sollen mit 95 Milliarden Euro jährlich profitieren.