Wende im Anti-Terror-Kampf: Auch Guantánamo-Insassen sollen freikommen

Washington. In kaum einem Bereich klaffen Anspruch und Wirklichkeit für US-Präsident Barack Obama so deutlich auseinander wie in der Anti-Terror-Politik. Obama hatte bei seinem Amtsantritt eine moralische Erneuerung der USA versprochen. Unter seinem Vorgänger George W. Bush hatten rechtsstaatliche Prinzipien gelitten. Doch Obama scheiterte nicht nur bei der Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo. Noch stärker als sein Vorgänger ließ er Terrorverdächtige gezielt mit Drohnenangriffen töten. In seinen verbleibenden dreieinhalb Jahren im Weißen Haus will Obama nun offenbar einiges anders machen.

Der tödliche Einsatz bewaffneter, unbemannter Flugzeuge außerhalb von Kriegsgebieten werde stark eingeschränkt, sagte Obama am Donnerstag in einer Grundsatzrede vor der National Defense University in Washington. Der Kampf gegen den Terrorismus gehe in eine „neue Phase“. Den neuen Regeln zufolge dürfen nur Terroristen des Netzwerks al-Qaida oder verbündete Gruppen getötet werden. Auch soll ein Einsatz nur erlaubt sein, wenn die Zielpersonen nicht festgenommen werden können und zuvor jene Staaten, in denen die Angriffe mit den Drohnen erfolgen, konsultiert wurden. Die Attacken dürften außerdem nicht als Bestrafung von Terroristen dienen, sondern nur zur Vorbeugung einer „anhaltenden und akuten Bedrohung für das amerikanische Volk“, sagte Obama. Zudem müsse sichergestellt sein, dass keine Zivilisten getötet oder verletzt würden.

Schon am Vorabend der Rede überraschte Obamas Justizminister Eric Holder mit einem Brief an den Kongress, in dem die Regierung erstmals die Tötung von US-Bürgern bei Drohnenangriffen einräumte. Seit 2009 seien der radikalislamische Geistliche Anwar al-Aulaki und drei weitere Menschen mit US-Pass bei Einsätzen im Ausland getötet worden, schrieb Holder. Schätzungen der Stiftung New America Foundation zufolge starben seit 2004 allein in Pakistan bis zu 3300 Menschen durch Drohnenattacken, darunter auch Hunderte Zivilisten.

Auch in die Schließung von Guantánamo, die der Kongress bislang blockierte, kommt Bewegung. Noch immer werden 166 Menschen in dem Lager auf einem US-Stützpunkt auf Kuba festgehalten, von denen 86 nicht mehr als bedrohlich eingestuft werden. Obama rief den Kongress auf, bestehende Hindernisse zum Transfer von Gefangenen in andere Länder zu lockern. Es solle auch wieder erlaubt werden, Gefangene aus dem Jemen in ihre Heimat zurückzuschicken. Zudem forderte er das Pentagon auf, einen Ort in den USA zu suchen, an dem Militärverfahren gegen Terrorverdächtige stattfinden könnten. Beigetragen zu dem Sinneswandel hat sicherlich der Hungerstreik in Guantánamo, dem sich seit Anfang Februar etwa zwei Drittel der Insassen angeschlossen haben.