In Einwanderer-Vorort sind 40 Prozent der jungen Menschen ohne Ausbildung oder Job. Die Gewalt hatte im Stadtteil Husby begonnen. Dort erschoss die Polizei in der vergangenen Woche bei einem Einsatz einen 69-Jährigen.

Stockholm. Sie kamen in großen Gruppen, setzen Autos in Brand, randalierten und griffen Polizisten sowie Feuerwehrleute und Sanitäter an: Vermutlich mehr als 100 Jugendliche haben in der Nacht zum Mittwoch in vorwiegend von Einwanderern bewohnten Vororten von Stockholm die schweren Krawalle fortgesetzt. Es war bereits die dritte Nacht in Folge.

Die Gewalt hatte im Stadtteil Husby begonnen. Dort erschoss die Polizei in der vergangenen Woche bei einem Einsatz einen 69-Jährigen. Die Beamten handelten nach eigenen Angaben in Notwehr. Der Mann hatte sich demnach mit einer Frau in einer Wohnung verschanzt und war mit einem Messer auf die Polizisten losgegangen, nachdem diese die Türe aufgebrochen hatten. Die schwedische Polizei hat eine interne Untersuchung zu den tödlichen Schüssen in Husby angeordnet.

Jetzt gingen rund 30 Fahrzeuge nach Polizeiangaben in Flammen auf. Aufgebrachte Jugendliche hätten außerdem Ladenfenster eingeschlagen und Steine auf Sicherheitskräfte geschleudert, teilte Polizeisprecher Kjell Lindgren mit. Lindgren sagte, auch ein Kulturzentrum sowie eine Schule und ein Kindergarten seien in Brand gesteckt worden. Acht Personen seien festgenommen worden. Keiner von ihnen ist älter als 22, teilte die Polizei mit. Zu den Zielen der Angreifer gehörte außerdem eine Polizeiwache in Jakobsberg.

Sogar der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt sah sich gezwungen, öffentlich zur Ruhe aufzurufen: „Es gibt da einen Kern von, wie das oft der Fall ist, jungen Männern, die glauben, Gewalt stehe über unseren demokratischen Werten und über dem schwedischen Gesetz.“ Die Menschen in Husby müssten ihren Stadtteil zurückerhalten, denn die Mehrheit der Bürger dort wolle in Frieden und Sicherheit leben. Schwedens Justizministerin Beatrice Ask kündigte an, Gewalt und Vandalismus in den Vororten zu bekämpfen. Angriffe auf Polizisten oder Rettungskräfte seien nicht akzeptabel.

Die Ursachen des Gewaltausbruchs gehen sehr tief. Wie bei den Vorstadt-Krawallen in Frankreich vor acht Jahren oder den schweren Ausschreitungen in mehreren britischen Städten 2011 im Anschluss an den Tod eines Schwarzen brauchte es nur einen Anlass, die Lunte in Brand zu stecken. Husby ist als sozialer Brennpunkt bekannt. Etwa acht von zehn Menschen dort haben einen Migrationshintergrund. Sie leben vornehmlich in Plattenbauten, die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem unter Jugendlichen. 40 Prozent der Bewohner zwischen 18 und 25 Jahren ist weder in Ausbildung noch im Job. Husby, wo heute rund 12.000 Menschen leben, wurde 1972 im Rahmen des sogenannten Millionenprogramms errichtet. Im Wirtschaftsboom wurden damals eine Million neue Wohnungen vor allem in Großsiedlungen gebaut. Vor einigen Jahren wurde ein Sanierungs- und Verschönerungsprogramm gestartet, es zeitigt bislang allerdings kaum Erfolge.

Die Todesumstände des 69-Jährigen und der Einsatz gegen die Krawallmacher in Husby haben Zweifel an der Polizeiarbeit verstärkt. Augenzeugen berichteten, Polizisten seien während des Einsatzes mit übermäßiger Gewalt vorgegangen. Es heißt, die Beamten hätten die Randalierer in Husby als „Neger“ und „Affen“ beschimpft. Polizeisprecherin Diana Sundin verteidigte das Vorgehen der Beamten: „Natürlich müssen wir korrekt sein und immer die richtigen Worte finden. Doch in so einer aufgeheizten Stimmung, wenn man dasteht und Steine an den Schutzhelm bekommt, dann sagt und tut man Dinge, die man nicht sagen sollte. Das ist nicht gut, aber es ist menschlich.“

Die Stockholmer Zeitung „Aftonbladet“ schrieb: „Die Frustration, die hinter den Unruhen steht, ist gut zu verstehen. Husby wurden in den letzten Jahren im Stich gelassen.“ Schwedens Integrationsminister Erik Ullenhag sagte, man habe es in Husby mit einer „großen sozialen Herausforderung“ zu tun. Viele Menschen in Husby und ähnlichen Vierteln seien abhängig von Sozialleistungen. Man müsse in die Schulen investieren und Jobs schaffen. Dennoch müsse man zeigen, wie der schwedische Rechtsstaat funktioniere.

Die Krawalle haben in Skandinavien eine heftige Debatte über die Einwanderung und das schwedische Sozialsystem ausgelöst. Schweden reduziert seit den 90er-Jahren die staatlichen Unterstützungsleistungen. Die Mitte-rechts-Regierung von Reinfeldt hat diesen Kurs weitergeführt. Steuern für Vermögende wurden gesenkt. Dadurch nahm das soziale Gefälle in Schweden so stark zu wie in keinem anderen OECD-Land. Die Einkommensunterschiede zwischen den Gering- und den Besserverdienern sind eklatant größer geworden. Insbesondere die Einwanderer sind von Jugendarbeitslosigkeit und Armut betroffen. Etwa 15 Prozent der schwedischen Bevölkerung wurde im Ausland geboren, der höchste Anteil in einem nordischen Staat.

Es sei „eine explosive Mischung aus Klassen- und Integrationsfragen“, die sich in den Stockholmer Vororten zusammenbraue, hieß es in einem Rundfunkkommentar. „Die verlorene Hoffnung brennt“, schrieb die linke Zeitung „Internationalen“.