Streit um Verfassungsänderungen in Budapest verschärft sich

Brüssel. Im EU-Parlament werden die Messer gewetzt, die Abgeordneten wollen die Gangart gegen Ungarn verschärfen. Seit Viktor Orbán die Parlamentswahlen 2010 in Budapest mit einer Zweidrittelmehrheit gewann, hat er dem Land insgesamt vier Verfassungsnovellen verordnet. Mit der jüngsten könnte er genau diesen einen Schritt zu weit gegangen sein. Dieser Auffassung ist man jedenfalls im europäischen Parlament, wo der Innenausschuss am Dienstag einen Bericht über die Lage der Grundrechte in Ungarn vorgestellt hat. „Es war höchste Zeit, dass wir als Parlament die Tonart verschärfen“, sagt Rebecca Harms, grüne Fraktionsvorsitzende. Man könne nicht glaubwürdig nach außen für Grundrechte eintreten, und sie dann innerhalb der Union nicht durchsetzen.

Das Papier des grünen Berichterstatters Rui Tavares aus Portugal ist eine akribische Liste der Beanstandungen. Auf insgesamt 35 Seiten werden Rechtsentwicklungen in Ungarn kritisiert und Änderungen angemahnt. Wenn Budapest nicht darauf reagiere, dann fordert der Bericht die EU-Institutionen dazu auf, ein Verfahren auf Grundlage von Artikel 7 zu prüfen. Dieser Paragraf gilt in Brüssel als die „nukleare Option“ unter den Waffen im EU-Arsenal. Sie kann gezogen werden, wenn die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ von Grundrechten besteht. Als Strafe droht im schlimmsten Fall der Entzug von Stimmrechten eines EU-Mitglieds. Ungarn hätte also bei Entscheidungen auf EU-Ebene nichts mehr zu melden.

Bisher jedenfalls hat sich aber Artikel 7 immer nur als leere Drohung erwiesen – noch nie hat die EU den Paragrafen tatsächlich angewandt. „Hier hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus“, sagt Harms über den schonenden Umgang der Mitgliedstaaten und des Parlaments mit Ungarn. Sowohl im Rat als auch im Parlament haben die Konservativen die Mehrheit – Viktor Orbáns Fidesz gehört ebenfalls der europäischen Parteienfamilie EVP an.

Während sich das EU-Parlament also bisher nicht auf ein geschlossenes Vorgehen einigen konnte, hat sich die EU-Kommission als Hüterin der Verträge vor allem auf die Verletzung von einfachem EU-Recht konzentriert. Im Moment hat Ministerpräsident Orbán drei Warnbriefe von Viviane Reding auf dem Tisch liegen. Die EU-Justizkommissarin aus Luxemburg gilt als seine Intimfeindin, denn sie lässt nicht locker mit ihrer Kritik an den Gesetzes- und Verfassungsnovellen in Ungarn.

In den drei Briefen mahnt Reding Nachbesserung in Budapest an. Unter anderem geht es dabei um eine Ad-hoc-Steuer, die Ungarns Bürger im Fall eines Strafgelds aus Brüssel entrichten müssen sowie das Recht des Präsidenten des Nationalen Justizamts, Anklagefälle von einem Gericht an ein anderes zu übergeben. Brüssel kritisiert außerdem eine Regelung, nach der Wahlwerbung nur von öffentlichen Sendern ausgestrahlt werden darf.

Orbán hat nun einen Monat Zeit, um auf die Schreiben aus Brüssel zu reagieren. Tut er das nicht auf zufriedenstellende Weise, wird Reding Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn anstrengen.