Todesstrafe für Gotteslästerung und keine Rechte für Frauen. Bei Auseinandersetzungen in der Hauptstadt Dhaka kamen 17 Menschen ums Leben

Singapur. Nach einer Nacht der Gewalt erwachte Bangladeschs Hauptstadt Dhaka am Montag erneut mit vereinzelt ratternden Gewehrsalven und Explosionen. Seit dem Wochenende liefern sich radikale Islamisten erbitterte Straßenschlachten mit der Polizei. 200.000 weiß gekleidete Männer, manche sprechen sogar von einer halben Million, toben entfesselt durch Dhaka. Sie fordern strengere islamische Gesetze, radikalere Strafen und das Ende der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Ihr Gründer Ahmad Shafi will das Rad zurückdrehen. Wenn es nach ihm und seinen Anhängern geht, soll der säkulare Staat so strikt fundamentalistisch regiert werden wie einst Afghanistan unter den Taliban.

Die Anhänger und Aktivisten seiner Hefajat-e-Islam-Bewegung (Beschützer des Islams), die sich vor knapp zwei Jahren in einer Koranschule in der Hafenstadt Chittagong gebildet hat, sind am Sonntag in einem „langen Marsch“ über die großen Zufahrtsstraßen in die Hauptstadt eingezogen. Sie wollten das Zentrum der Metropole besetzen, den Alltag lahmlegen, um die Erfüllung ihrer 13 Forderungen zu erzwingen.

Am Sonntagabend hatten sie sich in Motijiheel, dem Handels- und Finanzviertel Dhakas, verschanzt. Sie schworen brüllend, notfalls ihr Leben zu opfern und das Gebiet nicht eher zu verlassen, bis ihre Forderungen umgesetzt würden. Sie wetterten gegen die „Apathie“ der Regierung und schrien wütende Slogans wie „Atheisten sollen hängen!“, bis die Polizei nach Einbruch der Dunkelheit mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen sie vorrückte. Daraufhin waren die Kämpfe ausgebrochen. Steine flogen, und die Männer der Hefajat-e-Islam schlugen mit Stöcken um sich. Sie zündeten Geschäfte, eine Polizeiwache und Autos an und trieben das Chaos weiter. Die Gegend rund um die größte Moschee der Stadt verwandelte sich in ein Schlachtfeld. Auch in Kanchpur, einer Vorstadt von Dhaka, kam es zu wilden Gefechten. Inzwischen gibt es 17 Tote, darunter auch zwei Polizisten und ein zwölfjähriger Junge.

Viele der Hefajat-Männer hatten Sonntagnacht nach dem Vormarsch der Sicherheitskräfte in den umliegenden Gassen Schutz gesucht. Doch die meisten wurden ausgeräuchert und verhaftet. Gegen drei Uhr morgens lag der Platz rund um die steinerne Wasserlilie Shapla Chattar, das Nationalsymbol Bangladeschs, im Stadtteil Motijiheel wie ausgestorben da. Einzig Tausende von Sandalenpaaren und verstreute Bambusstöcke erinnerten daran, dass hier gerade noch ein wütender Mob getobt hatte.

Die Polizei hatte am Montag jegliche Versammlungen oder Demonstrationen verboten. Sicherheitskräfte durchkämmten die Straßen und Gebäude auf der Suche nach versteckten Aktivisten und Unruhestiftern. Außerdem stoppte die nationale Kommission zur Regulierung von Telekommunikation die Ausstrahlungen von zwei islamischen TV-Sendern. Nicht zum ersten Mal hat Hefajat-e-Islam Massendemonstrationen angestiftet, um ihre Ideologie zu verbreiten: Im vergangenen Monat organisierte die radikale Gruppe einen Generalstreik und eine Protestaktion mit mehreren Hunderttausend Teilnehmern.

Inzwischen hat die Polizei den Anführer von Hefajat-e-Islam, Ahmad Shafi, aus dem Hauptquartier der Bewegung in der Hauptstadt abgeführt. Sie hatten dem alten, stets in Weiß gekleideten Kleriker mit dem schneeweißen Bart zwei Optionen gegeben: Entweder er wird verhaftet oder er muss die Hauptstadt sofort verlassen. Augenzeugen behaupten, dass er nach rund dreistündigen Verhandlungen mit der Polizei am frühen Nachmittag in einem roten Minibus von der Koranschule wegfuhr, in der die Gruppe ihre Basis aufgeschlagen hatte. Die Polizei hat ihn in die Hafenstadt Chittagong gebracht.

90 Prozent aller Bangladeschis sind Muslime. Die meisten sind eher liberal eingestellt, doch das will Hefajat-e-Islam ändern. Ihre Forderungen, so schreibt der „Daily Star“, „erschrecken die meisten, weil sie so seltsam sind“. Ein wirres Gemisch aus gefährlichem Fundamentalismus und absurden Regeln. Neben einem strikteren Blasphemiegesetz, das die Todesstrafe vorsehen soll, wollen sie unter anderem „jegliche ausländische Kultur verbieten“, dazu das „freie Mischen von Männern und Frauen“, aber auch Gedenkveranstaltungen bei Kerzenschein. Islamische Erziehung soll für alle Schulkinder Pflicht werden, und es sollen keine Skulpturen mehr an Kreuzungen und Hochschulen im Lande errichtet werden. Und vor allem: Frauen sollen nicht mehr außerhalb des Hauses arbeiten und nichts mehr zu sagen haben.

Hefajat beschimpft die Regierung als „Atheisten“. Das südasiatische Land, das sich 1971 von Pakistan abgespalten hat, nennt sich selbst eine „säkulare, liberale Demokratie“ und hat eine weibliche Premierministerin: Sheikh Hasina. Die hatte die extremen Forderungen der Islamisten zurückgewiesen. Die bisherigen Gesetze seien ausreichend. Auch Menschenrechtsorganisationen und vor allem die mehreren Hunderttausend Textilarbeiterinnen in Bangladesch kritisieren die Forderungen der Gruppe. Mit dem Erstarken der Hardliner haben auch die Angriffe auf die Minderheiten der Hindus, Buddhisten und Christen zugenommen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker erklärte in Göttingen, Rufe nach einer Einführung des Scharia-Rechts schürten ein Klima der Angst. Die Menschenrechtsorganisation forderte einen besseren Schutz für religiöse Minderheiten. Bangladesch drohe ein Exodus dieser Gruppen, wenn sie vor Übergriffen radikaler Islamisten nicht besser geschützt würden. Allein in den vergangenen drei Monaten wurden der Organisation zufolge 50 hinduistische und zahlreiche buddhistische Tempel, 1500 Wohnhäuser und 300 Geschäfte zerstört. Die schleichende Islamisierung des Landes nehme immer erschreckendere Ausmaße an.