Frankreichs Präsident hat nach einem Jahr das Vertrauen von Wählern und Wirtschaft verspielt

Paris. Er würde gerne noch einen Aufschub bekommen. Eine Amtszeit könne immer erst am Ende beurteilt werden, findet François Hollande. Und doch weiß der sozialistische Politiker, dass Experten im In- und Ausland eine Bilanz seiner bisherigen Amtszeit ziehen werden, wenn sich am 6. Mai der Jahrestag seiner Wahl zum Präsidenten Frankreichs nähert. Der 58-Jährige und seine sozialistische Regierung hatten den Wählern viel versprochen. Die wirtschaftliche Lage wollten sie verbessern, von der Schließung bedrohte Werke und Arbeitsplätze retten, die Steuerbelastungen gerechter verteilen und Sparmaßnahmen verhindern. Doch die europäische Schuldenkrise hat Hollande längst eingeholt und ihm die eigenen Grenzen vor Augen geführt.

Ein Jahr nach seiner Wahl steckt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone tiefer denn je in der Krise. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass neue Schreckensmeldungen bekannt werden. Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt, die Defizitziele wurden verfehlt, das Wachstum schwächelt, und das Verbraucher-Vertrauen sinkt. Unternehmen laufen Sturm und warnen so wie der bekannte Fondsmanager Edouard Carmignac, dass Frankreich am Abgrund stehe und dringend seinen wirtschaftspolitischen Kurs ändern müsse. Hollande beteuert, er habe die Probleme erkannt. Sie sind vor allem struktureller Natur und viel zu lange verschleppt worden. Dennoch fällt die bisherige Bilanz des sozialistischen Präsidenten enttäuschend aus. So hatte er versprochen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen und ab Ende dieses Jahres zu senken. Mit 10,2 Prozent hat sie den höchsten Stand seit 1997 erreicht. Rechnet man die Übersee- Départements dazu, liegt sie sogar bei 10,6 Prozent. Im März waren 3,2 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet.

Hollande hat bereits Maßnahmen wie den sogenannten Generationenvertrag auf den Weg gebracht. Dieser sieht finanzielle Anreize für kleine und mittlere Betriebe vor, die einen jugendlichen Arbeitnehmer von einem älteren anlernen lassen. Im Mai soll zudem die umstrittene Arbeitsmarktreform endgültig vom Parlament abgesegnet werden. Sie ist zwar weniger drastisch als die in Deutschland durchgeführten Reformen, dürfte aber dennoch helfen, den starren Arbeitsmarkt für Unternehmen flexibler zu gestalten. Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hatte Frankreich seit Jahren zu einer Reform seines Arbeitsmarktes gemahnt.

Experten kritisieren zudem, dass Hollande bei der Bekämpfung des Staatsdefizits bisher zu einseitig auf Steuererhöhungen gesetzt hat. Das belastet nicht nur die Stimmung, sondern drückt auch aufs Wachstum. Vor allem das Vertrauen der Unternehmer in Hollande hat durch die beschlossenen Steuererhöhungen gelitten. Zusätzlich hat die von ihm versprochene 75-Prozent-Steuer auf hohe Einkommen das Image Frankreichs bei ausländischen Investoren beschädigt. Obwohl der Verfassungsrat im Dezember ein Veto einlegte, will Hollande krampfhaft an der Reichensteuer festhalten und sie in abgeänderter Form durchsetzen. Für Hollande bleibt damit für seine restliche Amtszeit noch eine Menge zu tun. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage Frankreichs drängt die Zeit – auch wenn sein Mandat erst 2017 endet.